Verborgene Macht
sie, sich unter der Decke zu verkriechen. »Cassie,nein...«
Cassie, ja. Steh auf, altes Haus. Wir müssen zu Sir Alric, erinnerst du dich?«
»Morgen. Das kann bis morgen warten ...«
»Es ist morgen, Isabella!«
Cassie blieb nichts anderes übrig, als zu ihrer bewährten Methode zu greifen und ihre Mitbewohnerin an den Füßen aus dem Bett zu ziehen. Erst als sie mit einem dumpfen Aufprall zu Boden fiel, wurde Isabella richtig wach. Wütend und schlaftrunken blinzelte sie Cassie durch ihre verhedderte Mähne an, dann schob sie sich das Haar aus den Augen.
»Ach, ja. Natürlich. Tut mir leid. Wir haben ja einen Termin.«
Als sie beide angezogen und auf dem Weg zu Sir Alrics Büro waren, wirkte Isabella beinahe so frisch und munter wie immer. Wenn sie angespannt war, wusste sie es gut zu verbergen. Es war Cassie, die sich miserabel fühlte vor lauter Müdigkeit und Nervosität.
Noch bevor sie an die Tür klopfen konnte, wurde sie geöffnet. Cassie kannte den Auserwählten, der das Büro verließ.
»Hi, Paco. Hi, Louis.« Isabella schenkte seinem Mitbewohner, der hinter ihm durch die Tür kam, ein Lächeln.
»Morgen!« Paco wirkte für die frühe Stunde geradezu lächerlich aufgeweckt. Seine Augen blitzten förmlich und er strahlte vor Energie. Louis dagegen gähnte. Er bedachte Cassie und Isabella mit einem schläfrigen Lächeln!
»Ihr auch, wie?« Er rieb sich die Augen und schüttelte den Kopf.
»Was?«, fragte Cassie.
»Nachhilfe in Latein. Echt ätzend, was?«
Cassie konnte nur schwach lachen und nicken, aber Pacos verschlagenes Augenzwinkern, das allein für sie bestimmt war, entging ihr nicht. Sie ignorierte ihn, während Sir Alric sie hereinrief und die Tür sich hinter den Jungen schloss.
»Cassandra. Isabella.« Er lächelte sie beide beruhigend an. »Danke, dass Sie gekommen sind.«
»Uns blieb keine andere Wahl, oder?«, bemerkte Cassie trocken.
Sir Alric lachte kurz auf. »Isabella, willkommen. Von Cassandra weiß ich, dass sie mit Ihnen über ihre... speziellen Bedürfnisse... gesprochen hat. Und dass Sie sich bereit erklärt haben, ihre Lebensquelle zu werden. Ich gehe davon aus, dass Sie sich in Bezug auf Ihre Entscheidung immer noch sicher sind?«
Isabella lächelte gepresst. »Natürlich.«
»Nicht viele Schüler haben in dieser Hinsicht den Luxus der Wahl«, sagte Sir Alric ernst. »Wie Sie wissen, haben die meisten Mitbewohner keine Ahnung von der wahren Natur der Auserwählten.«
»Ja, Louis zum Beispiel«, warf Isabella ein und zog missbilligend eine Augenbraue hoch. »Er weiß nicht, dass Paco sich von ihm nährt, oder?«
»Nein, er weiß es nicht. Aber lassen Sie mich Ihnen eines versichern: Ob die Lebensquelle weiß, was mit ihr geschieht, oder nicht — wenn es richtig gemacht wird, ist es vollkommen harmlos.« Sir Alric deutete auf zwei große, dunkle Ledersessel. »Bitte, nehmen Sie Platz, alle beide, und ich werde mein Bestes tun, um alle Ihre Fragen zu beantworten, bevor wir anfangen.«
Er nahm ihnen gegenüber Platz, schlug ein langes Bein über das andere und sah sie erwartungsvoll an. Cassies Herz raste - sie wusste nicht, wo sie beginnen sollte. Sie schaute zu Isabella hinüber, aber auch ihrer Freundin schienen plötzlich und gänzlich untypisch die Worte zu fehlen. Sir Alric brach das Schweigen.
»Also gut, zuerst wäre es vielleicht nützlich, wenn Sie beide an diese Sitzungen genauso herangehen, wie an jede andere Ihrer Unterrichtsstunden. Was wir hier zu erreichen hoffen, ist Teil des wesentlichen Ziels der Akademie - unsere Schüler auf das Leben außerhalb dieser geheiligten Hallen vorzubereiten. Tatsächlich könnte man die Akademie vielleicht als eine Art Trainingsfeld begreifen.«
»Trainingsfeld?«, wiederholte Cassie.
»Ja. Wie Sie wissen, wählen wir hier an der Dark Academy Schüler aus, die unserer Meinung nach das Potenzial haben, passende Wirte für die Auserwählten zu sein. Das akademische Umfeld ermöglicht den Auserwählten, die Fähigkeiten und persönlichen Beziehungen zu erwerben, die sie brauchen, um zu führenden Mitgliedern der Gesellschaft zu werden.«
»Und die anderen sind nichts weiter als Snacks?« Cassie wurde sich von Sekunde zu Sekunde unsicherer, ob sie das alles so eine gute Idee fand.
»Die anderen Schüler«, fuhr Sir Alric ungerührt fort, »spielen eine wesentliche Rolle in unserer Welt. Und darüber hinaus in der Welt im Allgemeinen. Indem sie etwas von sich selbst geben — ihre Lebensenergie —, helfen sie unsere
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