Verborgene Macht
eingetauscht.
»Komm«, zirpte Isabella. »Wir brauchen einen Tapetenwechsel. Vor allem, weil du heute Morgen bestimmt das Gesprächsthema Nummer eins sein wirst.«
»Was?« Cassie rieb sich die Augen. »Oh, Gott, ja. Carnegie Hall.«
Isabella hatte recht — Sara hatte den übrigen Auserwählten sicherlich schon von den monströsen Kräften ihres neuesten Mitglieds berichtet. Cassie stöhnte.
»Lass uns zusehen, dass wir den anderen aus dem Weg gehen«, schlug Isabella vor. »Wir werden gleich nach Chinatown fahren und dort frühstücken, ja?«
»Klingt nach einer guten Idee«, stimmte Cassie zu und schwang sich aus dem Bett. Sie war noch nicht richtig wach, konnte aber schon jetzt den nagenden Hunger nach Lebensenergie in sich spüren. Sir Alrics Anweisungen über regelmäßige Nahrungsaufnahme fielen ihr ein, doch sie schob den Gedanken beiseite. Sie war noch nicht bereit, es erneut zu versuchen. Vielleicht würde ein wenig normales Essen sie ablenken.
»Wunderbar«, sagte Isabella strahlend. »Ich werde Jake anrufen und ihm Bescheid sagen.« »Ähm, Isabella.« Cassie sah ihre Mitbewohnerin an. »Jake hat gesagt, er würde es heute Morgen nicht schaffen. Hat er es dir gestern Nacht nicht erzählt?«
Isabella wirkte verwirrt. »Er schafft es nicht? Warum nicht?«
»Ich... Das hat er nicht genau gesagt«, gestand Cassie widerstrebend. »Er meinte, er würde uns später treffen.«
Wenn sie recht darüber nachdachte, war das eine ziemlich erbärmliche Nummer. Was konnte wichtiger sein, als seine Freundin zu trösten, am Tag, nachdem jemand versucht hatte, sie zu entführen?
Isabella schien sich die gleiche Frage zu stellen. Zumindest ihrem gekränkten Gesichtsausdruck nach zu urteilen. Dann fing sie sich wieder und zog sich entschlossen an. Wie gewöhnlich war ihre Erscheinung am Ende von sorgloser Eleganz, obwohl sie fast wahllos in den Schrank gegriffen hatte.
»Na ja, wenigstens können wir so nach dem Essen einen kleinen Einkaufsbummel machen, stimmt’s?«
»Hm, dann brauche ich vorher definitiv etwas im Magen!« Unbeholfen schlüpfte Cassie in ihre Jeans und suchte dann hektisch in einer Schublade nach einem Pullover.
Bevor sie auch nur die Zähne geputzt hatte, war Isabella bereits geschminkt. Vom Waschbecken im Badezimmer aus beobachtete Cassie, wie ihre Freundin summend zwei Lippenstifte miteinander verglich. Anscheinend hatte sie den Zwischenfall auf Coney Island einfach aus ihrem Kopf verbannt. Wahrscheinlich war es so am besten. Hastig fuhr Cassie sich mit einer Bürste durchs Haar und verließ das Badezimmer.
»Fast fertig. Und du?«
»Hm. Wo hab ich nur meinen Armreif hingelegt?« Isabella durchwühlte das Chaos auf ihrem Nachttisch, dann hielt sie inne. »Oh nein!«
Bei ihrem entsetzten Aufschrei fuhr Cassie herum.
»Was?«
Wortlos hob Isabella den Reif an einem Finger hoch. Es war eines ihrer Lieblingsarmbänder. Ein sehr schönes Teil, das so klobig und witzig aussah wie Modeschmuck, aber aus massivem Gold war.
Und es war geschmolzen.
Cassie starrte das Armband an, das an Isabellas Finger baumelte. Ihre Freundin war fassungslos, aber Cassie konnte sie nicht trösten. Ihre Kehle war vollkommen zugeschnürt.
»Wie ist das passiert?«, jammerte Isabella, während sie versuchte, den verbogenen Goldreif mit Gewalt über ihr schlankes Handgelenk zu streifen. »Ich muss ihn zu nahe an der Heizung liegen lassen haben.«
Oder vielleicht zu nahe an mir, dachte Cassie dumpf. Isabellas Nachttisch stand zwischen ihrem Bett und dem von Cassie. Und das Metall, das wie Wachs geschmolzen war, sah auf schreckliche Weise vertraut aus...
»Ach, was solls.« Isabella warf den ruinierten Armreifen aufs Bett und zwang sich zu einem Lächeln. »Deswegen lasse ich mir nicht den Tag verderben. Komm!«
Dafür werde wahrscheinlich ich schon sorgen, dachte Cassie, während sie ihre Mäntel und Taschen und Schals zusammensammelten und den Raum verließen. Verdammt noch mal, was war nur los? Wie konnte sie im Schlaf Armreifen aus massivem Gold und silberne Fotorahmen schmelzen?
Sie erinnerte sich an Sir Alrics Worte: Vielleicht können Sie einen Teil Ihrer Kräfte nach außen projizieren.
Wenn dieser Vorfall mit ihrer Macht zu tun hatte, dann schien diese Macht sich immer stärker und stärker zu manifestieren. Griff die Macht jetzt auch schon nach den Menschen, die Cassie nahestanden? Oh, Gott...
Wenn sie in der Lage war, massives Metall zu zerstören, was würde sie dann Fleisch und Knochen antun
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