Verborgene Macht
wenn ich das nicht kann?«, fragte Cassie stürmisch.
»Glaub mir, ich werde dich aufhalten. Aber du kannst dich beherrschen. Du weißt, dass du es kannst, du hast es schon früher getan. Geh es langsam an.«
Als sie die Augen schloss und tief Luft holte, schlug eine Welle grausamen Hungers über Cassie zusammen. Doch Ayeeshas Finger schlossen sich fester um ihren Arm, und diese körperliche Erinnerung half ihr, sich unter Kontrolle zu halten.
Ein Aufwallen schierer, plötzlicher Ekstase erfüllte Cassie, als Isabellas Lebensenergie wie in einem endlosen Atemzug in sie hineinströmte und durch ihren ganzen Körper vibrierte. Isabellas Lebenskraft war ungeheuer - so lebendig! All diese überschäumende, unaufhaltsame Energie... sie raste durch ihre Adern und ließ ihr die Haare zu Berge stehen. Sie lachte beinahe und ihr wurde schwindelig. Blut pulsierte in ihren Ohren und sie fühlte sich wieder stark und lebendig. Dann umfasste sie die Handgelenke ihrer Freundin noch fester, saugte die Lebensenergie noch begieriger in sich hinein und schwelgte in ihrem Ansturm.
Ein Geräusch lenkte sie für einen Moment ab.
Ein Klopfen an der Tür?
Cassie öffnete die Augen und blickte kurz zur Seite, während sie immer noch Isabellas Lebenskraft in sich aufnahm, schneller jetzt...
»Wer ist da«, rief Ayeesha stirnrunzelnd. Sie lockerte ihren Griff um Cassies Arm ein wenig.
»Ich bin's. Jake.« Pause. »Wer ist da?«
Isabella riss entsetzt die Augen auf. Cassie sah die schockierte Reaktion ihrer Freundin, hörte aber nicht auf, weiter ihre Kraft zu nehmen.
»Einen Moment noch, Jake«, rief Ayeesha.
Nein, Jake durfte auf keinen Fall davon erfahren. Ayeesha durfte ihn nicht hereinlassen. Irgendwo in ihrem Delirium begriff Cassie das. Hör auf und sag es ihr. Jetzt. Sofort.
Aber sie konnte nicht aufhören, noch nicht...
Schnell! Schnell!
Isabella versuchte, sich aus Cassies Griff zu befreien. Sie war wegen Jake in Panik.
Achte nicht auf ihn! Achte auf nichts. Mach weiter!
Plötzlich veränderten sich die Panik und das Entsetzen in Isabellas Augen. Sie ruderte mit den Armen und aus der Tiefe ihrer Kehle kam ein schreckliches, keuchendes Geräusch.
Bring sie dazu, den Mund zu halten und still zu sein!
Das Mädchen wehrte sich jetzt. Die Adern an ihrem Hals pulsierten. Aber es reichte noch nicht. Sie brauchte mehr...
Nein! Nein!
Doch! Gib mir mehr von ihr! Wir haben HUNGER, Cassandra. Press den Mund auf ihren und nimm ALLES!
NEIN! Ich kann nicht...
HALT SIE FEST! LASS SIE NICHT LOS!
Estelle, nein - sie ist meine beste Freundin!
Sie ist nicht deine beste Freundin. DAS BIN ICH!
»Cassie? Cassie!« Ayeeshas Stimme drang zu ihr durch. Nach der kurzen Ablenkung hatte sie sich wieder den beiden Freundinnen zugewandt. »Cassie, hör sofort auf!«
Ignorier sie!
Finger gruben sich in Cassies Arm und zerrten an ihr. Wut wallte in ihr auf und zum Ausgleich saugte sie noch mehr Leben in sich hinein. Roter Zorn schäumte in ihr.
»CASSIE!« Ayeeshas Finger bohrten sich hart in ihre Handgelenke und taten ihr weh.
In diesem Moment wurde die Tür aufgerissen.
»Was zum Teufel...?«
Schockiert wachte Cassie aus ihrer Trance auf und ließ Isabella los. Diese taumelte keuchend und sank auf ein Knie. Dann fiel sie auf die Ellbogen.
»Genug, um Himmels willen. Genug.« Ayeesha zog Cassie von Isabella weg und schüttelte sie wütend.
»Was ist hier los? Isabella? Cassie!«
Alle drei drehten sich zu Jake um - Ayeesha peinlich berührt, Isabella bleich und zittrig, Cassie noch immer überschäumend vor Energie. Ihre Fingerspitzen kribbelten, ihr Gehirn kribbelte. Sie hatte das Gefühl, als könnte sie durchs Dach springen.
In Jakes erstarrtem Gesicht spiegelte sich ungläubiger Zorn. »Du... hast dich von ihr genährt? Das ist es doch, was du getan hast? DU HAST DICH VON IHR GENÄHRT?«
Jake war bleicher, als Cassie ihn je gesehen hatte, und er hatte die Fäuste geballt. Schwer atmend wischte sie sich über den Mund.
»Wie konntest du?« Seine hasserfüllten Worte waren kaum mehr als ein Knurren.
»Jake das reicht!« Isabella war außer Atem und kam wackelig auf die Beine.
»Isabella? Ist alles in Ordnung mit dir?«
Isabella zwang sich zu einem zittrigen Lächeln und rieb sich die Handgelenke. »Alles bestens. Jake, mir geht es gut. Mach kein Theater.«
»Aber... ist dir klar, was sie gerade...« Jakes Stimme verebbte, als es ihm langsam dämmerte. »Mein Gott. Isabella - du warst damit einverstanden?«
»Ja. Ja, Jake.
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