Verborgene Macht
öffnen. Helles Sonnenlicht fiel durch das riesige Fenster zum Central Park schräg in den Raum. Seit sie, schwach vor Hunger, aus Sir Alrics Büro heruntergestolpert gekommen war, waren Stunden vergangen. Isabella war vom Unterricht zurück.
»Isabella?«
»Cassie, was ist los? Was kann ich tun?«
Wie gewöhnlich schäumte ihre Mitbewohnerin über vor Energie und Cassie wollte sich hungrig an sie lehnen. Sie streckte ihre Hand aus, verfehlte Isabella und fiel unbeholfen zu Boden.
»Cassie? Cassie!« Isabella ging neben ihr in die Hocke. »Oh Cassie, du bist krank! Komm, lass dir helfen ...«
»Nein!« Cassie wich hektisch zurück, drückte sich zwischen das Bett und den Nachttisch und hob abwehrend die Hände. »Nein, Isabella, nicht! Ich — ich glaube, ich muss mich nähren.«
Isabella zögerte und betrachtete blinzelnd Cassies ausgestreckte Hände. Dann ergriff sie sie, zog Cassie auf die Füße und fasste sie an den Schultern.
Starr vor Entsetzen ließ Cassie es über sich ergehen. Jeden Augenblick jetzt... jeden Augenblick...
Isabella nahm Cassies Gesicht in beide Hände und sah sie ernst an. »Dann solltest du dich nähren. Komm.«
Cassie starrte ihre Mitbewohnerin an, als diese die Arme ausstreckte. »N-nein!«
»Cassie, du siehst schrecklich aus. Bitte!« Isabella drängte Cassie ihre Handgelenke auf, aber sie wich schnell zurück. Isabella schüttelte besorgt und wütend den Kopf. »Sieh dich doch an! Deine Haut ist wie Papier. Deine Augen sind stumpf. Du hättest es nicht so lange hinaus-
zögern sollen. Komm. Wir gehen zu Sir Alric. Er wird uns helfen.«
»Auf keinen Fall.« Cassie schüttelte hektisch den Kopf. »Auf keinen Fall. Ich gehe nicht zu ihm.«
»Aber Cassie, warum nicht?«
»Ich werde nicht - ich erkläre es dir später.« Cassie griff sich an die Kehle. »Oh, Gott, Isabella. Ich habe solchen Durst .«
»Hier, nimm das.« Isabella hielt Cassie die Karaffe von ihrem Nachttisch an die Lippen. Sie schluckte verzweifelt, aber es half nicht. »Warte hier. Rühr dich nicht von der Stelle.« Sie legte Cassies Hände fest um die Karaffe und stürzte aus dem Raum.
Cassie hatte die Karaffe geleert und wieder aufgefüllt und trank abermals in gierigen Schlucken, als Isabella zurückkam. Sie hatte Ayeesha mitgebracht, die wie angewurzelt stehen blieb, als ihr Blick auf Cassie fiel.
»Mein Gott! Cassie, was ist los mit dir?«, rief sie.
»Sie muss sich nähren.« Isabella verschränkte die Arme vor der Brust. »Sofort. Ayeesha, kannst du uns helfen? Sie hat es bisher nur ein einziges Mal getan.«
»Ein einziges Mal? Cassie, du hast nur ein einziges Mal Nahrung zu dir genommen?« Die Augen des Mädchens aus Barbados weiteten sich entsetzt. »Was hast du dir angetan?«
»Sie schreckt davor zurück, sich von mir zu nähren«, erklärte Isabella grimmig. »Sie hat sich zurückgehalten.«
Ayeesha stutzte, als sie langsam begriff, was Isabella gesagt hatte. Sie starrte sie einige Sekunden lang an, dann drehte sie sich um und bedachte Cassie mit einem eindringlichen, vielsagenden Blick. »Meinst du nicht, Isabella sollte auch etwas trinken?«
Einen Moment lang begriff Cassie nicht, wovon sie sprach. Dann erinnerte sie sich an das Getränk, das die Auserwählten ihren Mitbewohnern gaben, damit sie Prozedur der Nahrungsaufnahme vergaßen.
»Schon gut, Ayeesha«, murmelte sie schwach. »Sie weiß Bescheid. Sie ist damit einverstanden.«
»Wirklich?« Ayeesha schien immer noch argwöhnisch. »Vielleicht sollten wir Sir Alric rufen...«
»Nein!« Cassies Stimme war brüchig und heiser.
»In Ordnung. Dann werde ich dir helfen. Kannst du dich daran erinnern, was man dich gelehrt hat?«
Isabella nickte hastig für sie beide. »Ja. Cassie - komm schon.« Sie streckte abermals die Arme nach Cassie aus. Wie durch einen Nebel meinte Cassie zu sehen, dass die Hände ihrer Freundin kaum merklich zitterten.
Ayeesha klopfte Isabella beruhigend auf die Schulter. »Also, Cassie. Halt sie fest.«
Cassie kam taumelnd auf die Füße. Isabella lächelte ein wenig nervös und schloss die Augen, als Cassie mit Daumen und Zeigefinger ihre Handgelenke umschloss.
Sie konnte spüren, wie Isabellas Blut unter ihren Fingerspitzen pulsierte. Ihre Mitbewohnerin atmete mit leicht geöffneten Lippen stoßweise ein und aus. Gerade als sie das Gefühl hatte, sich nicht mehr zurückhalten zu können, legte sich eine warnende Hand auf ihren Arm.
»Vorsicht«, murmelte Ayeesha. »Du musst dich beherrschen.«
»Was ist,
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