Verborgene Muster
um eventuell ein paar Notizen zu
machen.«
Gill sah von einem Bruder zum anderen. Sie fühlte sich ein wenig ausgeschlossen. Ein
interessantes Brüderpaar. Das hatte Jim Stevens gesagt. Sie arbeitete ununterbrochen seit
sechzehn Stunden, und nun das hier. Doch sie lächelte und zuckte die Achseln.
»Kann ich erst was zu trinken kriegen?«
Nun lächelte John Rebus. »Bedien dich«, sagte er. »Es gibt Whisky oder Whisky und Wasser oder
Wasser. Komm, Mickey. Lass uns loslegen. Sammy ist irgendwo da draußen. Vielleicht ist ja noch
genügend Zeit.«
Michael spreizte die Beine ein wenig und beugte sich über Rebus. Er schien seinen Bruder
verspeisen zu wollen. Seine Augen waren ganz nah an Rebus, sein Mund bewegte sich
spiegelbildlich. So sah es zumindest für Gill aus, die sich gerade einen Whisky einschenkte.
Michael hielt die Münze hoch und versuchte, den richtigen Winkel zu der einzigen schwachen
Glühbirne im Raum zu finden. Schließlich spiegelte sich ihr Funkeln auf Johns Netzhaut wider, die
Pupillen weiteten sich und zogen sich wieder zusammen. Michael hatte das sichere Gefühl, dass
sein Bruder für Hypnose empfänglich war. Er hoffte es jedenfalls.
»Hör mir genau zu, John. Hör auf meine Stimme. Beobachte die Münze, John. Beobachte, wie sie
leuchtet und sich dreht. Sieh, wie sie sich dreht. Kannst du sehen, wie sie sich dreht, John?
Jetzt entspann dich und hör mir einfach zu. Und beobachte, wie die Münze sich dreht, wie sie
leuchtet.«
Einen Augenblick lang sah es so aus, als wurde Rebus nicht in Trance verfallen. Vielleicht
machten ihn die Familienbande immun gegen die Stimme, gegen ihre suggestive Kraft. Doch dann sah
Michael, dass die Augen sich ein wenig, für den Laien nicht wahrnehmbar, veränderten. Aber er
verstand seine Kunst. Sein Vater hatte ihn gründlich darin unterwiesen. Sein Bruder war jetzt in
einer Zwischenwelt. Gefangen im Licht der Münze konnte Michael ihn überall hinversetzen, ganz wie
er wollte. Er war in seiner Gewalt. Wie immer spürte Michael, wie ihn ein Schauder durchfuhr.
Dies war Macht, absolute und unbedingte Macht. Er konnte alles mit seinen Patienten machen,
einfach alles.
»Michael«, flüsterte Gill, »fragen Sie ihn, warum er die Armee verlassen hat.«
Michael schluckte, um seine Kehle zu befeuchten. Ja, das war ein gute Frage. Eine, die er John
immer schon selbst hatte stellen wollen.
»John?«, sagte er. »John? Warum hast du die Armee verlassen? Erzähl es uns.«
Und langsam, als müsse er Worte verwenden, die ihm unbekannt oder fremd waren, begann Rebus seine
Geschichte zu erzählen. Gill eilte zu ihrer Handtasche, um Notizblock und Stift zu holen. Michael
trank seinen Whisky.
Sie hörten zu.
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Teil 4
Das Kreuz
XXII
Ich war seit meinem achtzehnten Lebensjahr beim Fallschirmjäger-Regiment. Doch dann beschloss
ich, mich für den SAS zu bewerben. Warum ich das getan habe? Warum überhaupt ein Soldat ein
niedriges Gehalt hinnehmen sollte, um Angehöriger des SAS zu werden? Ich weiß es nicht. Ich
erinnere mich nur noch, dass ich plötzlich im SAS-Trainingslager in Herefordshire war. Ich nannte
es Das Kreuz, weil man mir gesagt hatte, dass sie dort versuchen würden, mich zu kreuzigen. Und
zusammen mit anderen Freiwilligen ging ich dort durch die Hölle - marschieren und trainieren bis
zum Umfallen und behandelt werden wie der letzte Dreck. Sie machten so lange weiter, bis sie uns
gebrochen hatten. Sie lehrten uns, tödlich zu sein.
Zu der Zeit gab es Gerüchte, in Ulster stünde ein Bürgerkrieg bevor und dass man den SAS
einsetzen wollte, um die Aufständischen mit Stumpf und Stiel auszurotten. Der Tag kam, an dem wir
unsere Rangabzeichen erhalten sollten. Wir bekamen neue Uniformmützen mit diesen Rangabzeichen.
Wir waren in der SAS. Aber das war noch nicht alles. Gordon Reeve und ich wurden in das Büro vom
Boss bestellt, wo man uns erklärte, wir hätten von allen Rekruten in unserer Truppe am besten
abgeschnitten. Wir hätten zwar noch zwei Jahre Ausbildung vor uns, bevor wir Berufssoldaten
werden könnten, aber man sagte uns große Dinge voraus.
Als wir das Gebäude verließen, sprach Reeve mich an.
»Hör mal«, sagte er, »ich hab da so ein paar Gerüchte gehört. Ich hab gehört, was die Offiziere
reden. Sie haben mit uns Pläne. Pläne. Denk an meine Worte.«
Wochen später steckte man uns in einen Überlebenskurs. Wir wurden von anderen Regimentern gejagt,
die, sollten sie uns erwischen, vor nichts
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