Verborgene Muster
des Krankenhauses abgehalten. Nur an der Rückwand des Saals waren noch Stehplätze frei. Gill
Templers Gesicht, freundlich, aber ernst, war dem britischen Fernsehpublikum allmählich genauso
vertraut wie das Gesicht jedes Nachrichtensprechers oder Reporters. Heute Abend würde allerdings
der Superintendent das Reden übernehmen. Sie hoffte, er würde sich kurz fassen. Sie wollte zu
Rebus. Und vielleicht noch dringender wollte sie mit seinem Bruder reden. Irgendwer musste doch
über Johns Vergangenheit Bescheid wissen. Offenbar hatte er nie mit irgendwelchen Kollegen über
seine Jahre bei der Armee gesprochen. Lag der Schlüssel dort verborgen? Oder in seiner Ehe? Gill
hörte zu, wie der Super seine Rede abspulte. Kameras klickten, und der große Saal wurde immer
verräucherter. Und dort saß auch Jim Stevens, um dessen Mundwinkel ein Lächeln lag, als ob er
etwas wusste. Gill wurde nervös. Seine Augen waren auf sie gerichtet, obwohl er eifrig
mitschrieb. Sie erinnerte sich an den katastrophalen Abend, den sie miteinander verbracht hatten,
und an den sehr viel weniger katastrophalen Abend mit John Rebus. Warum war keiner der Männer in
ihrem Leben je unkompliziert gewesen? Vielleicht weil Komplikationen sie anzogen. Doch dieser
Fall wurde nicht komplizierter. Er wurde einfacher.
Jim Stevens, der nur mit halbem Ohr zuhörte, was der Vertreter der Polizei zu sagen hatte, dachte
darüber nach, wie kompliziert diese Geschichte allmählich wurde. Rebus und Rebus, Drogen und
Mord, anonyme Botschaften gefolgt von der Entführung der Tochter. Er musste wissen, was die
Polizei ungeachtet der öffentlichen Darstellung wirklich glaubte, und er wusste, dass der beste
Weg dahin über Gill Templer führte, im Austausch für ein paar Informationen. Wenn die
Drogengeschichte und die Entführung miteinander in Verbindung standen, was vermutlich der Fall
war, dann hatte einer der beiden Rebus-Bruder das Spiel vielleicht nicht nach den festgelegten
Regeln gespielt. Vielleicht wusste Gill Templer etwas darüber.
Er kam hinter ihr her, als sie das Gebäude verließ. Sie wusste, dass er es war, aber
ausnahmsweise wollte sie mit ihm reden.
»Hallo, Jim. Kann ich dich irgendwohin mitnehmen?«
Er beschloss, dass sie konnte. Sie könne ihn bei einer Kneipe absetzen, es sei denn, er könne
Rebus kurz sehen. Er konnte nicht. Sie fuhren los.
»Diese Geschichte wird von Sekunde zu Sekunde bizarrer, findest du nicht?« Sie konzentrierte
ihren Blick auf die Straße und tat so, als würde sie über seine Frage nachdenken. In Wirklichkeit
hoffte sie, er würde etwas mehr aus sich herausgehen und ihr Schweigen würde ihn zu der Annahme
verleiten, dass sie ihm etwas vorenthielte, dass es etwas zu tauschen gäbe.
»Rebus scheint jedenfalls die Hauptfigur zu sein. Das ist interessant.«
Gill hatte das Gefühl, dass er gleich einen Trumpf ausspielen wollte.
»Ich meine«, fuhr er fort und zündete sich eine Zigarette an, »du hast doch nichts dagegen, wenn
ich rauche?«
»Nein«, sagte sie ganz ruhig, obwohl sie innerlich kochte.
»Danke. Ich meine, das ist interessant, weil ich bereits an einer anderen Geschichte arbeite, in
der Rebus eine Rolle spielt.«
Sie musste an einer roten Ampel anhalten, starrte jedoch weiter durch die
Windschutzscheibe.
»Würde dich diese andere Geschichte interessieren, Gill?« Interessierte es sie? Und ob. Aber was
konnte sie ihm dafür...
»Ja, ein sehr interessanter Mann, dieser Mister Rebus. Und auch sein Bruder.«
»Sein Bruder?«
»Ja, du weißt doch, Michael Rebus, der Hypnotiseur. Ein interessantes Brüderpaar.«
»Ach?«
»Na komm schon, Gill, lass uns mit dem Scheiß aufhören.«
»Ich hatte gehofft, du würdest das tun.« Sie legte einen Gang ein und fuhr wieder los.
»Ermittelt ihr wegen irgendwas gegen Rebus? Das will ich wissen. Ich meine, ob ihr in
Wirklichkeit wisst, wer hinter dieser ganzen Geschichte steckt, und es nur nicht zugebt?« Jetzt
drehte sie ihm den Kopf zu.
»So läuft das nicht, Jim.«
Er schnaubte verächtlich.
»Vielleicht bei dir nicht, Gill, aber tu bloß nicht so, als käme so was nicht vor. Ich hab mich
doch nur gefragt, ob du irgendwelche Gerüchte von oben gehört hast. Vielleicht in der Art, dass
jemand Mist gebaut hat, indem er die Dinge so weit hat kommen lassen.«
Jim Stevens beobachtete ihr Gesicht sehr genau, warf mit Ideen und vagen Theorien um sich, in der
Hoffnung, dass sie irgendwo anbeißen würde. Doch sie schien den Köder nicht zu
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