Verborgene Muster
schlucken. Na
schön. Vielleicht wusste sie ja wirklich nichts. Das hieß allerdings nicht unbedingt, dass seine
Theorien falsch waren. Es konnte auch einfach bedeuten, dass einiges auf einer höheren Ebene
ablief als der, auf der Gill Templer und er operierten.
»Jim, was glaubst du denn über John Rebus zu wissen? Das könnte nämlich wichtig sein. Wir könnten
dich zum Verhör holen, wenn wir annehmen, dass du wichtige Informationen zurückhältst...«
Jim Stevens machte ein missbilligendes Geräusch und schüttelte den Kopf.
»Wir wissen doch, dass das nicht geht, oder? Ich meine, das geht nicht so ohne weiteres.«
Sie sah ihn erneut an.
»Ich könnte einen Präzedenzfall schaffen«, sagte sie.
Er starrte sie an. Ja, das könnte sie vielleicht.
»Hier kannst du mich rauslassen«, sagte er und zeigte aus dem Fenster. Etwas Asche fiel von
seiner Zigarette auf die Krawatte. Gill hielt an und beobachtete, wie er ausstieg. Bevor er die
Tür zuwarf, lehnte er sich noch einmal ins Auto.
»Ich bin jederzeit zu einem Tausch bereit, wenn du mitmachst. Du kennst ja meine
Telefonnummer.«
Ja, sie kannte seine Telefonnummer. Die hatte er ihr vor langer Zeit einmal aufgeschrieben, vor
so langer Zeit, dass sie beide jetzt auf unterschiedlichen Seiten standen, dass sie ihn kaum noch
verstehen konnte. Was wusste er über John? Und über Michael? Während sie zu Rebus' Wohnung fuhr,
hoffte sie, es dort herauszufinden.
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XXI
John Rebus las einige Seiten in seiner Bibel, legte sie jedoch weg, als er merkte, dass er
überhaupt nichts aufnahm. Stattdessen betete er und kniff dabei die Augen fest zusammen. Dann
ging er in der Wohnung herum und berührte alle möglichen Dinge. Das hatte er auch vor seinem
ersten Nervenzusammenbruch getan. Jetzt hatte er jedoch keine Angst. Möge das Unvermeidliche
kommen, möge alles auf ihn zukommen. Er hatte keine Kraft mehr, sich zu wehren. Er nahm den
Willen seines missgünstigen Schöpfers einfach nur noch passiv hin.
Es klingelte an der Tür. Er machte nicht auf. Sie würden fortgehen, und er würde mit seinem
Schmerz wieder allein sein, mit seiner ohnmächtigen Wut und seinen verstaubten Besitztümern. Es
klingelte erneut, diesmal beharrlicher. Fluchend ging er zur Tür und riss sie auf. Michael stand
da.
»John«, sagte er, »ich bin so schnell gekommen, wie ich konnte.«
»Mickey, was machst du hier?« Er führte seinen Bruder in die Wohnung.
»Eine Frau hat mich angerufen. Sie hat mir alles erzählt. Das ist ja furchtbar, John. Einfach
furchtbar.« Er legte Rebus eine Hand auf die Schulter. Rebus empfand ein Prickeln, und ihm wurde
bewusst, wie lange es her war, dass er die Berührung eines menschlichen Wesens gespürt hatte,
eine mitfühlende, brüderliche Berührung. »Draußen wurde ich von zwei Gorillas abgefangen. Die
scheinen ja gut auf dich aufzupassen.«
»Reine Routinesache«, sagte Rebus.
Es mochte ja eine Routinesache sein, aber Michael wusste verdammt gut, wie schuldbewusst er
ausgesehen hatte, als die beiden sich auf ihn stürzten. Er hatte sich schon über den Anruf
gewundert und überlegt, ob es vielleicht eine Falle war. Deshalb hatte er die Lokalnachrichten im
Radio gehört. Es hatte tatsächlich eine Entführung und einen Mord gegeben. Es war also wahr. Also
war er hierher gefahren, in die Höhle des Löwen, obwohl er wusste, dass er sich von seinem Bruder
fernhalten sollte, obwohl er wusste, dass sie ihn umbringen würden, wenn sie es herausfänden.
Außerdem hatte er sich gefragt, ob die Entführung etwas mit ihm zu tun haben konnte. War es eine
Warnung an beide Brüder? Er wusste es nicht. Doch als diese beiden Gorillas in dem düsteren
Treppenhaus auf ihn zukamen, da hatte er geglaubt, das Spiel sei aus. Zuerst hielt er sie für
Gangster, die auf ihn angesetzt waren. Dann glaubte er, es waren Polizisten, die ihn verhaften
wollten. Doch nein, es war eine reine »Routinesache«.
»Du sagst, eine Frau hätte dich angerufen? Hast du ihren Namen mitbekommen? Na, auch egal. Ich
weiß sowieso, wer es war.«
Sie setzten sich ins Wohnzimmer. Michael zog seine Lammfelljacke aus und zauberte aus einer der
Taschen eine Flasche Whisky hervor.
»Meinst du, das hilft?«, fragte er.
»Es kann jedenfalls nichts schaden.«
Während Rebus in der Küche Gläser holte, inspizierte Michael das Wohnzimmer.
»Das ist eine schöne Wohnung«, rief er.
»Nun ja, ein bisschen groß für meine Bedürfnisse«, sagte Rebus. Ein ersticktes Geräusch kam aus
der
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