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Verborgene Muster

Titel: Verborgene Muster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Rankin
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Küche. Michael ging darauf zu und stellte fest, dass sein großer Bruder über das Becken
gebeugt stand und heftig, aber leise weinte.
»John«, sagte Michael und nahm Rebus in die Arme, »ist schon gut. Es wird alles wieder gut.« Er
spürte, wie Schuldgefühle in ihm aufstiegen.
Rebus tastete nach einem Taschentuch, und als er es gefunden hatte, schnaubte er kräftig hinein
und wischte sich die Augen.
»Du hast gut reden.« Er schniefte und versuchte zu lächeln. »Du bist ein Heide.«
Sie tranken den Whisky zur Hälfte leer, saßen zurückgelehnt in ihren Sesseln und betrachteten
schweigend die düstere Decke über ihnen. Rebus' Augen waren rot umrandet und seine Lider
brannten. Ab und zu schniefte er und rieb sich mit dem Handrücken über die Nase. Michael kam es
so vor, als wären sie wieder Kinder, bloß diesmal mit vertauschten Rollen. Nicht dass sie sich je
besonders nahe gewesen waren, aber Sentimentalität siegte stets über Realität. Natürlich
erinnerte er sich, wie John für ihn die eine oder andere Prügelei auf dem Spielplatz ausgetragen
hatte. Erneut überkam ihn ein Gefühl der Schuld. Er zitterte leicht. Er musste aus diesem
Geschäft aussteigen, aber vielleicht steckte er schon zu tief drin, und wenn er John, ohne es zu
wollen, in die Sache hineingezogen hatte... Das war gar nicht auszudenken. Er musste mit dem Boss
reden, ihm die Sache erklären. Aber wie? Er hatte keine Adresse oder Telefonnummer. Der Boss rief
immer ihn an, niemals umgekehrt. Alles kam ihm plötzlich grotesk vor. Wie in einem
Alptraum.
»Wie hat dir die Show neulich abends gefallen?«
Rebus musste sich zwingen, sich daran zu erinnern, an die stark parfümierte, einsame Frau, an
seine Finger um ihren Hals, die Szene, die den Anfang von seinem Ende signalisiert hatte.
»Das war ganz interessant.« War er nicht eingeschlafen? Egal.
Erneutes Schweigen. Ab und zu fuhr draußen ein Auto vorbei. Etwas weiter entfernt war das Gebrüll
von Betrunkenen zu hören.
»Die meinen, es war jemand, der eine Rechnung mit mir zu begleichen hat«, sagte er
schließlich.
»Ach? Und stimmt das?«
»Ich weiß es nicht. Es sieht ganz so aus.«
»Aber das müsstest du doch wissen?« Rebus schüttelte den Kopf.
»Das ist das Problem, Mickey. Ich kann mich nicht erinnern.«
Michael richtete sich in seinem Sessel auf.
»Woran genau kannst du dich nicht erinnern?«
»Irgendwas. Ich weiß nicht. Einfach irgendwas. Wenn ich es wüsste, dann könnte ich mich ja
erinnern. Aber da ist ein Loch. Ich weiß, dass es da ist. Ich weiß, dass es da etwas gibt, woran
ich mich erinnern sollte.«
»Etwas aus deiner Vergangenheit?« Michael war jetzt ganz hellhörig. Vielleicht hatte das alles ja
doch nichts mit ihm zu tun. Vielleicht hatte es alles mit etwas ganz anderem zu tun, mit jemand
anderem. Er fasste wieder Hoffnung.
»Ja, etwas aus meiner Vergangenheit. Aber ich kann mich nicht erinnern.« Rebus rieb sich die
Stirn, als ob sie eine Kristallkugel wäre. Michael wühlte in seiner Tasche herum.
»Ich kann dir helfen, dich zu erinnern, John.«
»Wie?«
»Damit.« Michael hielt eine silberne Münze zwischen Daumen und Zeigefinger hoch. »Ich hab dir
doch erzählt, dass ich tagtäglich Patienten in frühere Leben zurückversetze. Dann sollte es nicht
allzu schwer sein, dich in deine wirkliche Vergangenheit zurückzuversetzen.«
Nun richtete sich John Rebus kerzengerade auf und schüttelte den Whiskydunst von sich.
»Na dann los«, sagte er. »Was muss ich tun?« Doch irgend etwas inseinem Inneren sagte: du willst
das gar nicht, du willst das gar nicht wissen.
Er wollte es wissen.
Michael kam zu seinem Sessel herüber.
»Leg dich zurück. Ganz bequem. Trink nichts mehr von dem Whisky. Aber denk dran, nicht jeder ist
für Hypnose empfänglich. Zwing dich zu nichts. Geh es ganz locker an. Wenn es funktioniert, dann
funktioniert es, ob du willst oder nicht. Entspann dich einfach, John, entspann dich.«
Es klingelte an der Tür.
»Lass es klingeln«, sagte Rebus, aber Michael hatte bereits den Raum verlassen. Erst waren
Stimmen im Flur zu hören, dann kam Michael mit Gill zurück ins Zimmer.
»Die Anruferin, nehme ich an«, sagte Michael.
»Wie geht es dir, John?« Ihr Gesicht war äußerst besorgt.
»Gut. Gill, das ist mein Bruder Michael, der Hypnotiseur. Er wird mich jetzt in Trance versetzen
- so nennst du das doch, Mickey? -, um diese merkwürdige Blockade in meinem Gedächtnis zu
beseitigen. Vielleicht solltest du dich bereithalten,

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