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Verborgene Muster

Titel: Verborgene Muster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Rankin
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allerdings auch nicht gedacht.«
»Aber zweifellos sind die speziell an uns beiden interessiert.«
»Wie meinst du das?«
Bisher war das nur ein vager Gedanke gewesen, aber nun war ich mir sicher.
»Als unser Wächter in jener Nacht seine Nase in den Unterschlupf steckte, schien er nicht
überrascht und schon gar nicht verängstigt. Ich glaube, die beiden waren von Anfang an
eingeweiht.«
»Und was soll das alles?«
Ich betrachtete ihn, wie er da saß, das Kinn auf die Knie gestützt. Von außen waren wir
zerbrechliche Wesen. Wir hatten Hämorriden, die brannten, als würden Vampire ihre hungrigen Zähne
hineinschlagen, unsere Münder waren wund und voller schmerzhafter Geschwüre. Uns fielen die Haare
aus, die Zähne wurden locker. Doch das Zusammensein verlieh uns Kraft. Und genau das konnte ich
nicht verstehen. Warum hatten die uns zusammengelegt, wo wir beide doch, getrennt von einander,
kurz vor dem Zusammenbruch stunden?
»Also, was soll das?«
Vielleicht versuchten sie, uns in einem falschen Gefühl von Sicherheit zu wiegen, bevor sie die
Schrauben richtig fest anziehen. »Das Ärgste ist noch nicht, so lang man noch sagen kann, das ist
das Ärgste.« Shakespeare, King Lear. Ich konnte das damals noch nicht wissen, aber heute weiß ich
es. Lassen wir es einfach so stehen.
»Ich weiß nicht«, sagte ich. »Sie werden es uns wohl sagen, wenn sie glauben, dass der richtige
Zeitpunkt gekommen ist.«
»Hast du Angst?«, fragte er plötzlich. Seine Augen starrten auf unsere rot gestrichene
Zellentür.
»Vielleicht.«
»Du solltest verdammt noch mal Angst haben, Johnny. Ich habe jedenfalls welche. Ich erinnere
mich, als Kind hab ich mal mit ein paar anderen an einem Fluss gespielt, der in der Nähe unserer
Wohnsiedlung war. Er führte Hochwasser. Es hatte seit einer Woche ununterbrochen gepisst. Es war
kurz nach dem Krieg, und um uns herum waren eine Menge zerstörter Häuser. Wir gingen
flussaufwärts und kamen an ein Abwasserrohr. Ich hab immer mit älteren Kindern gespielt. Ich weiß
nicht warum. Immer war ich das Opfer bei ihren scheiß Spielen, trotzdem blieb ich bei ihnen.
Vermutlich machte es mir Spaß, mich mit Kindern herumzutreiben, vor denen die anderen Jungs in
meinem Alter eine Heidenangst hatten. Denn obwohl mich die älteren Kinder wie ein Stück Scheiße
behandelten, gab mir das Macht über die jüngeren. Verstehst du das?«
Ich nickte, aber er sah mich gar nicht an.
»Dieses Rohr war nicht sehr dick, aber es war lang und es lag hoch über dem Fluss. Sie wollten,
dass ich als Erster darüber ging. Mein Gott, hatte ich eine Angst. Ich hatte so einen Schiss,
dass meine Beine anfingen zu zittern und ich auf halbem Weg erstarrte. Und dann lief mir die
Pisse unter meinen Shorts hervor die Beine runter. Sie sahen das und fingen an zu lachen. Sie
haben mich ausgelacht, und ich konnte mich nicht von der Stelle rühren, nicht weglaufen. Also
ließen sie mich da stehen und gingen fort.«
Ich dachte an das Gelächter, als man mich vom Hubschrauber wegschleifte.
»Ist dir so was als Kind jemals passiert, Johnny?«
»Ich glaube nicht.«
»Warum zum Teufel bist du dann zum Militär gegangen?«
»Um von zu Hause fortzukommen. Ich hab mich mit meinem Vater nicht verstanden. Er zog meinen
jüngeren Bruder vor. Ich fühlte mich ausgeschlossen.«
»Ich hatte nie einen Bruder.«
»Ich auch nicht, jedenfalls nicht im eigentlichen Sinne. Ich hatte einen Widersacher.«

Ich hole ihn jetzt wieder zurück.
Wagen Sie das bloß nicht.
Das bringt doch alles nichts.
Machen Sie weiter.

»Was war dein Vater von Beruf, Johnny?«
»Hypnotiseur. Er ließ Leute auf die Bühne kommen und brachte sie dazu, unsinnige Dinge zu
tun.«
»Du machst Witze!«
»Nein, es ist wahr. Mein Bruder wollte in seine Fußstapfen treten, aber ich nicht. Also setzte
ich mich ab. Sie waren nicht gerade traurig, mich gehen zu sehen.«
Reeve kicherte.
»Wenn man uns zum Verkauf anbieten würde, müsste »leicht angeschmutzt« auf dem Preisschild
stehen, was, Johnny?« Ich fing an zu lachen, lachte länger und lauter als nötig gewesen wäre, und
wir legten jeder einen Arm um den anderen und ließen ihn auch da, um uns zu wärmen.
Wir schliefen Seite an Seite, verrichteten unsere Notdurft in der Gegenwart des anderen,
versuchten, zusammen ein bisschen Sport zu machen, spielten kleine Gedächtnisspiele miteinander
und harrten miteinander aus.
Reeve besaß ein Stück Schnur. Er wickelte es immer wieder neu auf und machte die

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