Verborgene Sehnsucht
Durcheinander, dann ging sie Richtung Schlafzimmer. Eine schnelle Drehung aus dem Handgelenk, und die Tasche landete auf dem seidenen Bettbezug, direkt neben ihren ordentlich zusammengelegten Kleidern. Zeit für einen Wochenendtrip. Eigentlich stand dieser Ausflug zweimal im Monat auf dem Programm, wenn Tania ihre Schwester besuchte. Im Washington State Bundesgefängnis für Frauen.
Ein weiterer Charakterfehler. Sie hatte alle Zeichen übersehen. War so damit beschäftigt gewesen, etwas zu Essen auf den Tisch zu bringen – und J. J . mit ein paar anständigen Schuhen auszustatten –, dass sie erst erkannte, dass ihre Schwester sich mit den falschen Leuten angefreundet hatte, als es schon zu spät war. Jetzt fuhr sie die Strecke alle zwei Wochen und bestach die Wachen mit Keksen, damit sie ein paar Extraminuten mit ihrer Schwester bekam.
Diesmal waren es Chocolate Chip Cookies.
Sie verspürte einen Stich im Herzen, während sie ihre Sachen in die Tasche stopfte. Zuerst bequeme Kleidung für zwei Tage. Dann folgten ein Paar flache Ballerinas. Sie hatte nicht vor, heute Abend nach Hause zu fahren. Nachdem man sie aus dem Gefängnis geworfen und sie J. J. hinter Gittern zurückgelassen hatte, würde ihr eine weitere Runde Frustshoppen guttun.
»Reiß dich zusammen, Solares.« Sie wischte sich die Augen trocken. Verdammt. Nicht schon wieder. »Niemand steht auf Heulsusen.«
Mit einer schnellen Bewegung schloss sie die Tasche, dann ging sie um ihr Bett herum und überprüfte den Anrufbeantworter auf ihrem Nachttisch. Nichts. Keine Nachrichten. Nicht von den Detectives MacCord oder Keen. Nicht von dieser dummen Reporterin.
So ein Mist.
Sie hätte nie mit Clarissa Newton sprechen sollen. Aber sie war so verdammt wütend gewesen. Und es den Cops heimzuzahlen, schien ihr gestern noch eine gute Idee zu sein. Jetzt bereute sie es, die Reporterin angesprochen zu haben. Zu dumm, dass das Interview bereits aufgezeichnet war. Sie hatten es im Stil von 60-Minutes aufgenommen, hinten in einem Café in zwei Sesseln gesessen, während die Kamera lief. Der Sender hatte sich bereit erklärt, ihr Interview als Teil eines Beitrags über Polizeikorruption in Seattle zu zeigen.
Tania starrte auf die Tastatur ihres Telefons und schüttelte den Kopf. Ein Teil von ihr hoffte, MacCord würde ausrasten, wenn er das Interview sah. An ihre Tür hämmern und sie fragen, was zum Teufel sie sich dabei gedacht hatte. Und dann würde sie zugeben müssen, dass sie sich gar nichts gedacht hatte und ihn küssen, bis er in Ohnmacht fiel. Aus Rache. Und vielleicht ein ganz klein bisschen, weil es ihr gefiel.
Er hatte es nicht besser verdient. Und, ganz ehrlich, sie brauchte diese Freude. Vor allem nach den Träumen, in denen er ihr erschienen war. Und na ja … wow. Einfach nur wow. Er war ein anderes Wort für heiß. Und lecker. Das Ganze mit einem Set Oh-Himmel-ich-will-dich-sofort-Salatbesteck umgerührt, und man landete irgendwo südlich von Feuerland.
Sie verdrehte die Augen. Diese verdammte Fixierung. Das war nicht gesund, vor allem weil …
Das Telefon in ihrer Hand klingelte.
Tania keuchte auf und hätte das Ding beinahe fallen lassen, bevor sie den richtigen Knopf fand. »Hallo?«
»Ms. Solares?« Die Stimme war rau und tief und stellte ihr die Nackenhaare auf.
Tania reagierte automatisch auf den Unterton und spannte die Muskeln an. »Ja?«
»Sind Sie noch eine Weile zu Hause?«
»Wie bitte?« Ein Flüstern – ganz leise, kaum wahrnehmbar – glitt durch ihren Verstand. Vielleicht eine Warnung? Sie wusste es nicht.
»Oh, entschuldigen Sie, Miss. Ich wollte Sie nicht beunruhigen«, sagte der Mann, ohne Zweifel als Reaktion auf ihren eisigen Tonfall. »Hier ist Nick … Mr. Cannons Assistent.«
Ach so. Der Assistent des Hausverwalters. Tania entspannte sich. Mr. Cannon war ein Goldstück. Ein schmerbäuchiger Kerl mit ungepflegtem Oberlippenbart, der keiner Fliege etwas zuleide tun konnte. Auch wenn die Tatsache, dass er einen Assistenten hatte, sie überraschte. Aber schließlich war das Haus, in dem sie wohnte, schon älter. Ein Schmuckstück mit dem Charme der Zwanzigerjahre, das den Hausmeister meistens ganz schön auf Trab hielt. Da war es nur gut, dass Mr. Cannon sich Hilfe geholt hatte.
»Was kann ich für Sie tun, Nick?«
»Der Mieter zwei Wohnungen unter Ihnen hat gerade einen Wasserschaden gemeldet«, sagte Nick. »Wir müssen in Ihre Wohnung, um zu sehen, wo die Feuchtigkeit herkommt. Wir haben das Wasser abgestellt,
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