Verbotene Früchte im Frühling
den er gesucht hatte, festgenommen war, wandelte sich etwas von Warings Zorn in finstere Entschlossenheit. Er wirkte wie jemand, der viel zu lange eine viel zu schwere Last getragen hatte. „Wir ahnten ja nicht, dass wir eine Schlange an unserem Busen nährten. Während einer der Ferienzeiten, die Harry zu Hause verbrachte, wurde ein Vermögen an Bargeld und Schmuck aus dem Familiensafe gestohlen. Eines dieser Stücke war ein diamantenes Halsband, das den Warings ein ganzes Jahrhundert lang gehört hatte. Mein Urgroßvater hatte es aus dem Besitz einer der österreichischen Erzherzoginnen erworben. Der Diebstahl konnte nur von jemandem aus der Familie begangen worden sein, oder von einem Dienstboten, dem wir vertrauten und der Zugang zum Safeschlüssel hatte. Alle Hinweise deuteten auf eine Person hin. Matthew Phaelan.“
Matthew saß still da. Äußerlich ruhig, während in seinem Innern ein Chaos tobte. Er wandte all seine Kraft auf, um den inneren Tumult in Schach zu halten. Es hätte keinen Sinn gehabt, sich gehen zu lassen.
„Woher wissen Sie, dass das Schloss nicht von einem Dieb geöffnet wurde?“, hörte er Lillian kühl fragen.
„Der Safe wurde mit einem Schloss ausgestattet, das über einen Bewegungsmelder verfügte“, gab Waring zurück, „und das nicht mehr funktionierte, wenn ein Dieb versuchte, sich daran zu schaffen zu machen. Nur ein Schlüssel konnte es öffnen. Und Phaelan wusste, wo der Schlüssel war. Gelegentlich wurde er geschickt, um Geld oder persönliche Besitztümer aus dem Safe zu holen!“
„Er ist kein Dieb!“, hörte Matthew Daisy wütend rufen. Sie verteidigte ihn, ehe er das selbst tun konnte. „Niemals wäre er fähig, irgendjemandem irgendetwas zu stehlen.“
„Eine Jury von zwölf Männern war nicht dieser Meinung“, rief Waring, dessen Ärger neu entfacht war. „Phaelan wurde wegen schweren Diebstahls zu fünfzehn Jahren Gefängnis verurteilt. Ehe man ihn einsperren konnte, gelang ihm die Flucht, und er verschwand.“
Matthew war davon ausgegangen, dass Daisy sich jetzt von ihm zurückziehen würde, doch nun stellte sie sich zu seinem Erstaunen hinter seinen Stuhl. Er fühlte den leichten Druck ihrer Hände auf seinen Schultern. Äußerlich reagierte er nicht auf ihre Berührung, doch seine Sinne nahmen dies gierig auf.
„Wie haben Sie mich gefunden?“, fragte Matthew heiser und zwang sich, Waring anzusehen. Die Zeit hatte den Mann in mehrfacher Hinsicht verändert. Die Falten in seinem Gesicht waren tiefer geworden, die Knochen traten mehr hervor.
„Jahrelang habe ich meine Männer nach Ihnen suchen lassen“, sagte Waring mit einer Spur von Melodrama, die seine Freunde aus Boston mit Sicherheit als übertrieben empfunden hätten. „Ich wusste, Sie können sich nicht ewig verstecken. Das Waisenhaus am Charles bekam eine große anonyme Spende – ich vermutete, dass Sie dahintersteckten, aber es war unmöglich, das undurchsichtige Netz von Rechtsanwälten und falschen Geschäften zu durchschauen. Dann kam mir der Gedanke, dass Sie sich vielleicht auf die Suche nach dem Vater gemacht haben könnten, der Sie vor so langer Zeit im Stich gelassen hat. Wir spürten ihn auf, und für ein paar Drinks sagte er uns alles, was wir wissen wollten – Ihren neuen Namen, Ihre Adresse in New York.“ Warings Verachtung war nur zu deutlich hörbar, als er hinzufügte: „Sie wurden verkauft für den Gegenwert von fünf Gläsern Whisky.“
Matthew stockte der Atem. Ja, er hatte seinen Vater gefunden und gegen jede Vernunft und alle Regeln der Vorsicht beschlossen, ihm zu vertrauen. Der Wunsch, zu irgendwem oder irgendetwas zu gehören, war zu groß gewesen. Sein Vater war nur noch ein menschliches Wrack – Matthew hatte nur wenig für ihn tun können, außer ihm eine Wohnung zu suchen und für seinen Lebensunterhalt zu zahlen.
Wann immer Matthew seinen Vater heimlich besuchte, türmten sich bei ihm die Flaschen. „Wenn du mich jemals brauchen solltest“, hatte er seinem Vater gesagt und ihm einen gefalteten Zettel in die Hand gedrückt, „dann schick eine Nachricht an diese Adresse. Du darfst sie niemandem zeigen, verstehst du?“ Sein Vater, der in seiner Abhängigkeit wie ein Kind geworden war, hatte Ja gesagt. Er habe verstanden.
Wenn du mich jemals brauchen solltest … Matthew hatte sich so sehr gewünscht, dass irgendjemand ihn brauchte.
Jetzt zahlte er den Preis dafür, dass er sich einfach so hatte gehen lassen.
„Swift“, fragte Thomas Bowman, „ist
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