Verbotene Früchte im Frühling
„Das war natürlich kein Angriff gegen Mr. Hunt.“
Annabelle lachte. „Ich würde nicht jeden Geschäftsmann als herzlos bezeichnen. Zuweilen kann Mr. Hunt sehr empfindsam und gefühlvoll sein.“
Die anderen sahen sie zweifelnd an und konnten sich den hoch gewachsenen Ehemann Annabeiles mit den markanten Zügen nicht als gefühlvoll vorstellen. Mr. Hunt war klug und charmant, aber gegen Gefühle schien er so immun zu sein wie ein Elefant gegen das Summen einer Mücke.
„Wir glauben es dir einfach“, sagte Lillian. „Aber kommen wir zurück zum Thema. Evie – würdest du Lord St. Vincent fragen, ob er einen passenden Ehemann für Daisy kennt? Jetzt, da wir uns über die Definition von ‚passend‘ klar geworden sind, sollte er jemanden finden können. Immerhin dürfte er jeden einzelnen Mann in England kennen, der auch nur ein paar Schillinge besitzt.“
„Ich werde ihn fragen“, erklärte Evie entschlossen. „Ich bin sicher, wir werden einen passenden Kandidaten entdecken.“
Als Besitzer des Jenner’s, des exklusiven Spielklubs, den Evies Vater vor langer Zeit aufgebaut hatte, brachte Lord St. Vincent das Geschäft mit einer Geschwindigkeit zum Erfolg, die einmalig war. St. Vincent führte den Klub mit akribischer Genauigkeit und besaß umfangreiche Akten über das persönliche Leben und die finanzielle Lage eines jeden Mitglieds.
„Danke“, sagte Daisy mit ernster Miene und dachte über den Klub nach. „Ich frage mich … meinst du, Lord St. Vincent könnte mehr über Mr. Rohans geheimnisvolle Vergangenheit herausfinden? Vielleicht ist er ein lange vermisster irischer Lord oder so was.“
Für einen Moment herrschte Stille im Raum. Daisy merkte, wie ihre Schwester und die Freundinnen Blicke miteinander tauschten. Auf einmal fühlte sie sich verstimmt, ärgerte sich über sie und noch mehr über sich selbst, weil sie den Mann erwähnt hatte, der half, den Spielklub zu führen.
Rohan war ein dunkelhaariger junger Mann mit strahlenden haselnussbraunen Augen, zur Hälfte Zigeuner. Sie waren einander nur einmal begegnet, und da hatte Rohan ihr einen Kuss geraubt. Drei Küsse, um genau zu sein, und das war mit Abstand das erotischste Erlebnis ihres bisherigen Daseins gewesen. Abgesehen davon, dass es das einzige erotische Erlebnis ihres bisherigen Daseins gewesen war.
Rohan hatte sie geküsst, als wäre sie eine erwachsene Frau und nicht nur die kleine Schwester von jemandem, mit einer Sinnlichkeit, die ihr all das andeutete, wozu ein Kuss so führen kann. Daisy hätte ihn ohrfeigen sollen.
Stattdessen hatte sie von diesen Küssen mindestens tausend Mal geträumt.
„Ich glaube nicht, Liebes“, sagte Evie sanft, und Daisy lächelte ein wenig zu bereitwillig, als hätte sie nur einen Scherz gemacht.
„Nein, natürlich ist er das nicht! Aber du weißt, wie meine Fantasie arbeitet – sie stürzt sich auf jedes kleine Geheimnis.“
„Wir müssen uns auf die wichtigen Dinge konzentrieren, Daisy“, erklärte Lillian streng. „Keine Fantasien oder Märchen – und keine Gedanken an Rohan. Er lenkt dich nur ab.“
Daisys erste Reaktion war eine bissige Bemerkung, wie sie ihr bisher immer entschlüpft war, wenn Lillian zu gebieterisch wurde. Doch als sie in die braunen Augen ihrer Schwester sah, die dieselbe braune Farbe hatten wie ihre eigenen, entdeckte sie den Anflug von Panik darin, und sie verspürte eine heftige Zuneigung und den dringenden Wunsch, sie zu beschützen.
„Du hast recht“, sagte sie und zwang sich zu einem Lächeln. „Du musst dir keine Sorgen machen. Ich werde alles tun, um hier bei dir bleiben zu können. Sogar einen Mann heiraten, den ich nicht liebe.“
Wieder breitete sich Schweigen aus. Dann sagte Evie: „Wir werden einen Mann finden, den du lieben kannst, Daisy. Und hoffen, dass die Zuneigung mit der Zeit wächst.“ Ein spöttisches kleines Lächeln umspielte ihre vollen Lippen. „Manchmal ergeht es einem so.“
3. KAPITEL
„Die Vereinbarung, die Sie mit meinem Vater getroffen haben…“
Noch lange, nachdem er sich von ihr getrennt hatte, hörte Matthew den Klang von Daisy Bowmans Stimme. Bei der ersten sich bietenden Gelegenheit würde er Thomas Bowman beiseitenehmen und ihn fragen, was zum Teufel hier vorging. Aber in der Unruhe und Aufregung, die von den ankommenden Gästen verursacht wurden, würde er damit wohl bis zum Abend warten müssen.
Matthew fragte sich, ob der alte Bowman es sich wirklich in den Kopf gesetzt hatte, ihn mit Daisy
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