Verbotene Früchte im Frühling
dachte sie wieder an Daisy. „Ich werde ihr meine ehrliche Meinung sagen“, erklärte sie plötzlich. „Ich sehe Matthew Swift so, wie er ist, selbst wenn sie das nicht tut.“
„Ich denke, sie kennt deine Meinung bereits“, erklärte Annabelle sachlich. „Aber letzten Endes liegt die Entscheidung bei ihr. Ich vermute mal, dass Daisy nicht versucht hat, dich in die eine oder andere Richtung zu beeinflussen, als du versucht hast herauszufinden, was du für Lord Westcliff empfindest.“
„Dies hier ist eine völlig andere Situation“, widersprach Lillian. „Matthew Swift ist abscheulich! Und außerdem – wenn Daisy ihn heiratet, bringt er sie vielleicht nach Amerika, und ich sehe sie nie wieder.“
„Und du möchtest, dass sie für immer unter deinen Fittichen bleibt“, meinte Annabelle.
Lillian warf ihr einen strafenden Blick zu. „Meinst du damit, ich bin so selbstsüchtig, sie an einem eigenen Leben zu hindern, nur damit sie in meiner Nähe bleibt?“
Unbeeindruckt von ihrem Zorn, lächelte Annabelle mitfühlend. „Ihr wart doch immer zusammen, oder? Aber Dinge verändern sich, Liebes. Du hast jetzt deine eigene Familie, einen Ehemann und bald auch ein Kind – und für Daisy solltest du dir all das auch wünschen.“
In Lillians Nase begann es zu kribbeln, und als es dann auch noch in ihren Augen brannte, wandte sie das Gesicht ab. „Ich verspreche, den nächsten Mann zu mögen, für den sie sich interessiert. Egal, wer es ist. Solange es sich nur nicht um Matthew Swift handelt.“
„Du würdest keinen Mann mögen, für den sie sich interessiert.“ Annabelle legte einen Arm um ihre Schultern und fügte liebevoll hinzu: „Du bist ein wenig besitzergreifend, Liebes.“
„Und du ein wenig lästig“, erwiderte Lillian und lehnte den Kopf an Annabeiles weiche Schultern. Sie schniefte noch ein wenig, während Annabelle sie in jener tröstenden Umarmung hielt, die Lillians Mutter nie zustande gebracht hatte. Es war erleichternd zu weinen, wenn auch ein wenig peinlich. „Ich hasse es, eine Heulsuse zu sein“, murmelte Lillian.
„Das liegt an deinem Zustand“, beruhigte Annabelle sie. „Und es ist völlig normal. Wenn das Baby erst da ist, wirst du wieder du selbst sein.“
„Es wird ein Sohn werden“, erklärte Lillian und wischte sich über die Augen. „Und dann werden wir eine Ehe zwischen unseren Kindern arrangieren, sodass Isabelle eine Viscountess wird.“
„Ich dachte, du glaubst nicht an arrangierte Ehen.“
„Bisher tat ich das auch nicht. Aber unseren Kindern kann unmöglich eine so wichtige Entscheidung überlassen werden wie die, wen sie heiraten sollen.“
„Du hast recht. Das müssen unbedingt wir für sie entscheiden.“
Sie lachten zusammen, und Lillian wurde ein wenig leichter ums Herz.
„Ich habe eine Idee“, sagte Annabelle. „Lass uns in die Küche gehen und in den Vorratsschrank schauen. Ich wette, es ist noch etwas vom Nachtisch übrig.“
Lillian hob den Kopf und wischte sich mit dem Ärmel über das Gesicht. „Glaubst du wirklich, nach einem Teller mit Süßigkeiten fühle ich mich wohler?“
„Schaden wird er dir jedenfalls nicht, oder?“ Annabelle lächelte.
Lillian dachte darüber nach. „Gehen wir“, sagte sie schließlich und gestattete ihrer Freundin, sie von der Bank hochzuziehen.
Als die Hausmädchen die Vorhänge in der Haupthalle zurückzogen und sie mit seidenen Kordeln an der Seite befestigten, schickte die Morgensonne ihre Strahlen durch die Fenster herein. Daisy ging ins Frühstückszimmer, wohl wissend, dass vermutlich noch keiner der Gäste wach war. Von rastloser Energie getrieben, hatte sie versucht, so lange wie möglich zu schlafen, bis sie endlich aufgesprungen war und sich angezogen hatte.
Die Dienstboten waren damit beschäftigt, Messing und Holz zu polieren, die Teppiche zu bürsten und Leinentücher hin und her zu tragen. Aus größerer Entfernung war das Klappern von Metall und Porzellan zu hören, denn in der Küche wurde das Frühstück vorbereitet.
Die Tür zu Lord Westcliffs Arbeitszimmer stand offen, und Daisy warf im Vorbeigehen einen Blick in das holzvertäfelte Innere. Es war ein schöner Raum, einfach und sparsam möbliert, mit einer Reihe farbiger Glasfenster, durch die Licht in allen Regenbogenfarben auf den Teppich fiel. Mit einem Lächeln hielt Daisy inne, als sie jemanden an dem schweren Schreibtisch sitzen sah. An den Umrissen des dunklen Kopfes und der breiten Schultern erkannte sie Mr. Hunt, der
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