Verbotene Früchte im Frühling
„Und warum seht ihr auf die …“ Sie erbleichte, als sie plötzlich begriff. „Meine Güte. Hast du Wehen, Lillian?“
Ihre Schwester schüttelte den Kopf und wirkte etwas verwirrt. „Nicht richtig. Nur ein paar Bauchkrämpfe. Es hat nach dem Essen angefangen, und dann wieder eine Stunde später, dann eine halbe Stunde, und jetzt nach zwanzig Minuten.“
„Weiß Westcliff Bescheid?“, fragte Daisy atemlos. „Soll ich es ihm sagen?“
„Nein“, sagten die drei anderen Frauen alle zugleich.
„Es besteht kein Grund, ihn jetzt schon zu beunruhigen“, fügte Lillian hinzu. „Soll Westcliff doch den Nachmittag mit seinen Freunden genießen. Wenn er erst Bescheid weiß, wird er hier auf und ab laufen und Befehle geben, und niemand wird mehr Ruhe haben. Vor allem ich nicht.“
„Was ist mit Mutter? Soll ich sie holen?“ Daisy musste die Frage stellen, auch wenn sie die Antwort schon kannte.
Mercedes wirkte niemals sehr beruhigend, und obwohl sie fünf Kinder geboren hatte, war sie recht zimperlich, wenn die Rede auf körperliche Dinge kam.
„Ich leide schon genug“, sagte Lillian trocken. „Nein, sag Mutter noch nichts. Sie würde sich verpflichtet fühlen, bei mir zu sitzen, um den Schein zu wahren, und das würde mich nur noch mehr beunruhigen. Nein, was ich jetzt brauche, dass seid ihr drei.“
Trotz ihres spöttischen Tonfalls griff sie nach Daisys Hand und drückte sie fest. Eine Geburt war eine beängstigende Angelegenheit, vor allem beim ersten Mal, und Lillian bildete da keine Ausnahme. „Annabelle sagt, das kann jetzt noch tagelang so gehen“, sagte sie zu Daisy und verzog das Gesicht. „Das heißt, dass ich vielleicht nicht ganz so heiter und ausgeglichen sein werde wie gewöhnlich.“
„Das ist gut, Liebes. Zeig uns deine schlimmste Seite.“ Damit setzte Daisy sich auf den Teppich zu Lillians Füßen, ohne die Hand der Schwester loszulassen.
Im Raum war es still, nur das Ticken der Kaminuhr war zu hören, und das Rascheln der Bürste in Lillians Haar.
Der Puls der beiden Schwestern klopfte im Gleichklang. Daisy war nicht ganz sicher, ob sie nun ihre Schwester beruhigte oder ob das Umgekehrte der Fall war. Lillians Zeit war gekommen, und Daisy hatte Angst um sie, fürchtete den Schmerz und mögliche Komplikationen und auch, dass nachher nichts mehr so sein würde wie zuvor.
Sie warf einen Blick zu Evie, die ihr zulächelte, und Annabelle, deren Gesicht beruhigend gelassen wirkte.
Wir werden einander durch alle Höhen und Tiefen des Lebens helfen und alle Herausforderungen zusammen überstehen, dachte Daisy, und plötzlich überwältigte sie ein Gefühl der Liebe für sie alle. „Ich werde niemals weit weg von euch leben“, sagte sie. „Ich möchte, dass wir vier immer zusammen sind. Ich könnte es nicht ertragen, eine von euch zu verlieren.“
Sie fühlte, wie Annabelle einen beschuhten Fuß liebevoll an ihrer Wade rieb. „Daisy – eine richtige Freundin kann man niemals verlieren.“
9. KAPITEL
Als der Nachmittag in den Abend überging, wurde das Unwetter heftiger, als das bei einem gewöhnlichen Frühjahrssturm der Fall war, und erreichte seinen Höhepunkt. Der Wind peitschte den Regen gegen die Fenster, beugte die makellos geschnittenen Hecken und Bäume, während Blitze über den Himmel zuckten. Die vier Freundinnen waren im Salon geblieben, maßen die Zeit zwischen Lillians Wehen, bis nur noch Abstände von zehn Minuten dazwischenlagen. Lillian war bedrückt und ängstlich, obwohl sie versuchte, das zu verbergen. Daisy vermutete, dass es ihrer Schwester schwerfiel, sich diesem Prozess zu unterwerfen, der von ihrem Körper Besitz ergriffen hatte.
„Auf der Chaiselongue kann es unmöglich bequem für dich sein“, sagte Annabelle schließlich und richtete Lillian auf. „Komm, Liebes. Zeit, ins Bett zu gehen.“
„Sollte ich …“, setzte Daisy an und überlegte, ob man Westcliff vielleicht doch Bescheid geben sollte.
„Ja, ich denke schon“, meinte Annabelle.
Erleichtert, weil sie endlich etwas tun konnte und nicht nur hilflos danebensitzen musste, fragte Daisy: „Und sonst noch? Brauchen wir Laken? Handtücher?“
„Ja, ja“, sagte Annabelle über ihre Schulter hinweg und legte einen Arm um Lillians Rücken. „Und eine Schere und eine Wärmflasche. Und sag der Haushälterin, sie soll etwas Baldrianöl heraufschicken und getrocknetes Hirtentäschelkraut.“
Als die anderen Lillian zum Herrenschlafzimmer geleiteten, eilte Daisy ins untere Stockwerk.
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