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Verbotene Früchte - Spindler, E: Verbotene Früchte

Verbotene Früchte - Spindler, E: Verbotene Früchte

Titel: Verbotene Früchte - Spindler, E: Verbotene Früchte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erica Spindler
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August waren sie alle nur noch gekochte Hummer. Die Touristen, mit denen er sprach, zeigten sich immer erstaunt über die Hitze. Unweigerlich kam die Frage, wie die Bewohner der Stadt das aushielten. Aber ein Einwohner hielt das nicht aus, er gewöhnte sich daran. Seiner Ansicht nach war das ein Unterschied.
    Santos hob das Gesicht dem schwarzen Himmel entgegen und atmete tief durch. Die Luft hatte sich in den letzten Stunden zwar nicht abgekühlt, aber sie hatte sich verändert und das Quarter mit ihr. Er fand den Unterschied gering und auffallend zugleich. Wie der Unterschied zwischen natürlichem Licht und Neon, zwischen Blumenduft und Parfüm, zwischen Heiligen und Sündern.
    Einkäufer und Geschäftsleute waren mit dem Tageslicht verschwunden und machten Platz für die Nachtmenschen. Davon gab es zwei Sorten: Randgruppen und Aussteiger. Randgruppen waren solche Leute, die wie seine Mutter nicht dem klassischen Typ des Otto Normalverbrauchers entsprachen, obwohl sie es gerne gewesen wären. Aussteiger lebten absichtlich außerhalb der Gesellschaft, weil ihnen das gefiel.
    Schwermütige Bluesmusik wehte von einem Balkon über ihm, von einem anderen kam Lustgestöhn. Santos joggte daran vorbei, duckte sich in eine Gasse und benutzte die weniger frequentierten Seitenstraßen, wo die Gefahr, seiner Mutter oder Bekannten zu begegnen, gering war.
    Einem Eckrestaurant entströmten das Geklapper von Geschirr und der köstliche Duft von zubereiteten Meeresfrüchten. Santos ging hinter dem Restaurant vorbei und rümpfte die Nase, als er einem besonders reifen Abfalleimer auswich. Ein oder zwei Tage Hitze, und verlockende Hummer oder Shrimps verwandelten sich in ekelhaftes Zeugs.
    Die Schule kam in Sicht, und er verlangsamte sein Tempo. Es war nicht angebracht, in dieser Gegend zu laufen. Bei der Armut und der Kriminalitätsrate hier waren die Bullen ständig auf Streife und hielten Ausschau nach jungen Männern auf der Flucht.
    Santos ging hinter die Schule. Nachdem er sicher war, unbeobachtet zu sein, duckte er sich hinter eine Reihe wilder Oleander- und Olivenbüsche. Dort fand er, wie erwartet, ein mit einem Stein geöffnetes Fenster. Er hievte sich auf den Fenstersims, schwang die Beine ins Gebäude und sprang auf den Boden. Irgendwo im Innern hörte er Gelächter. Seine Freunde waren schon da.
    Ein Zündholz flackerte auf. Erschrocken drehte Santos sich um. Ein Junge, den sie Scout nannten, weil er immer auf Ausschau nach Bullen, Drogendealern und Alkoholikern war, stand in der Ecke, und die Zündholzflamme erhellte sein amüsiertes Gesicht.
    „Was gibt’s?“ fragte Santos stirnrunzelnd. „Du hast mir einen Scheißschreck eingejagt.“
    Scout zündete sich eine Zigarette an und warf das Zündholz weg. „Tut mir Leid, Mann. Du bist spät heute Abend.“
    „Meine Mutter hat mich aufgehalten.“
    „Scheißspiel.“ Scout sog an seiner Zigarette und stieß eine beißende Wolke aus. Er deutete auf die Eisenstange an der Wand neben sich. „Bin froh, dass du es warst. ’nen Moment hab ich gedacht, es gäb’ Krieg. Muss unser Revier verteidigen.“
    Und das hätte er getan, das wusste Santos. Die meisten Kinder, mit denen Santos zusammen war, lebten ausschließlich auf der Straße. Sie waren weggelaufen, entweder von ihren Familien oder von Pflegeeltern. Einige, so wie Santos, waren Kinder aus der Nachbarschaft, die nachts ohne Aufsicht waren. Sie waren von elf bis sechzehn Jahre alt, und die Gruppe wurde täglich größer oder kleiner. Neue kamen hinzu, andere wurden aufgegriffen und zu denen zurückgebracht, denen sie hatten entkommen wollen. Santos und ein paar andere hatten von Anfang an zur Gruppe gehört.
    „Wo sind die alle?“ fragte Santos.
    „Heimzimmer. Lenny und Tish haben sich von einem Lieferwagen eine Tüte Krebse gefischt. Sind noch warm, jedenfalls waren sie das vor ’ner halben Stunde.“
    Santos nickte. „Kommst du mit?“
    „Nee. Ich steh noch ’ne Weile Wache.“
    Santos nickte wieder und ging auf den Raum zu, den sie Heimzimmer nannten. Weil die Schule so groß war, hatten sie vier Räume ausgewählt, in denen ihre regelmäßigen Treffen stattfanden, und hatten ihnen Namen gegeben: Theaterclub, Kunsthandwerk, Sexualerziehung und Heimzimmer.
    Das Heimzimmer lag in der ersten Etage am Ende des Hauptflures. Auf dem Weg dorthin wich Santos Unrat und Schwachstellen im Boden aus. Wie erwartet, fand er die Gruppe lachend und schwatzend um den Beutel mit Krebsen versammelt. Sie schmatzten,

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