Verbotene Nacht (German Edition)
hinuntergebeugt hatte, hatte nicht etwa Wut in seinen Augen geblitzt, war in seinem Gesicht kein Anflug von Zorn gewesen. In seinen Augen hatte sie nur heisses, brennendes und ungestilltes Verlangen gelesen. Ein Verlangen, so scharf und stechend, dass es ihr jetzt noch den Atem raubte.
Die Erinnerung an das Verlangen in Kyrills Augen wärmte Elli Tag für Tag und Nacht für Nacht. Die Erregung, die sie in seinem Blick gesehen hatte, die Leidenschaft, deren Ziel ganz eindeutig sie gewesen war, liess sie beinahe den schrecklichen Gesprächsversuch in der Küche vergessen. Elli war zwar immer noch wütend auf Kyrill und sein Verhalten damals in der Küche hatte ihre Wut auf ihn nur noch geschürt. Doch jetzt, wo sie gesehen hatte, mit welcher Macht er sie begehrte… Elli hatte gedacht, Kyrill hätte jegliches Interesse an ihr verloren, empfände nur noch heissen Zorn und brodelnde Wut für sie. Seine Gefühle kochten auch tatsächlich, aber aus einem ganz anderen Grund. Wann immer Elli an die Szene auf der Treppe zurückdachte, wann immer sie sein heisses Begehren spüren konnte, wurde sie weich und warm, träumte mitten am Tag von ihm und wünschte ihn so sehr in sich zu spüren, dass es ihr beinahe den Atem raubte.
In den Tagen, die dem wütenden Gespräch in der Küche folgten, stiegen die Temperaturen langsam wieder an und die schwüle Hitze des Sommerbeginns kehrte zurück. Jetzt kehrte wieder Leben ein in den Wald, er atmete wieder keuchend unter der heissen Liebkosung der Sonne, Äste knackten, Blätter raschelten und Baumspitzen bogen sich im Wind, der mit vergeblicher Müh versuchte, der Sonnenwärme entgegenzuhalten.
Elli spürte in diesen schwülheissen Tagen, dass ein Gewitter nicht mehr fern war. Und sie fürchtete sich davor. Hatte sie sich früher immer auf Gewitter gefreut, so fürchtete sie die Unwetter nun, da sie unliebsame Erinnerungen wachrufen würden.
Die Hitze stieg kontinuierlich an und damit auch Ellis Verlangen nach Kyrill. Elli hatte Mühe, während dieser Tage einen klaren Gedanken zu fassen. Alles was sie hoffte, war, dass das Gewitter in der Nacht kommen würde, wenn sie schlafen würde.
Das Gewitter kam tatsächlich bei Nacht. Doch es weckte sie. Elli murmelte etwas im Halbschlaf, als ein Donner krachte. Unruhig warf sie sich auf die andere Seite. Weitere Donner folgten, zerrissen die nächtliche Stille und polterten durch die offenstehenden Fensterflügel ins Eckzimmer.
Langsam erwachte Elli. Verschlafen blinzelte sie. Als ein Blitz die Dunkelheit zerriss, wurden ihre Augen gross und starr vor Angst. Sie setzte sich im Bett auf, den Blick auf das offenstehende Fenster gerichtet, als handelte es sich um ein Ungeheuer. Sie wusste, dass sie das Fenster schliessen sollte, doch sie brachte es nicht über sich, ihr Bett zu verlassen. Sie zuckte zusammen, als ein Donner krachte und schloss die Augen. Das war ein Fehler, denn sofort sah sie im Geiste eine fallende Tanne vor sich, sah, wie der Baum direkt auf sie zusteuerte.
“Oh, nein!”, hauchte Elli. “Bitte, nicht!”
Sie krallte die Finger in die Decke und zog sie tief unter ihre Nase.
Die Wurzeln der Tanne gaben unter ihr nach, der Baum senkte sich, ächzte und stöhnte, als er langsam aber sicher auf den Boden zusteuerte. Elli konnte den Schock und den Schrecken von damals wieder in ihren Glieder spüren, spürte ihre Unfähigkeit, sich zu bewegen, diese absolute Starre, die völlige Hilflosigkeit, ihre Bewegungslosigkeit, obwohl sie sich doch so dringend in Sicherheit bringen musste. Sie wollte davonlaufen, stellte sich vor, wie sie es tun würde, doch in der Realität klappte es nicht. Ihre Beine liessen sich nicht bewegen.
Ein Blitz zuckte auf.
“Nein”, wimmerte Elli stumm. Sie vergrub den Kopf in der Decke, hielt sich die Hände über die Ohren, um den Donner nicht hören zu müssen, doch es nützte nichts. Unerbittlich brach sein Grollen zu ihr durch, rüttelte und schüttelte sie gnadenlos.
Jetzt fehlte nicht mehr viel. Staunend blickte Elli in den Himmel. Die Tanne war so tief, dass sie sie fast berührte. Und dann plötzlich verwandelte sich der Baumstamm in eine grosse, hässliche Fratze, die den Mund so weit aufriss, dass Elli einen tiefen, stechend roten Schlund erblicken konnte, ein Schlund, aus dem fürchterliches Gelächter entstieg. “Elli”, lachte das Tannengesicht grausam. “Jetzt hab ich dich!”
Mit einem Aufschrei warf Elli ihre Decke zurück. Blind taumelte sie durch ihr Zimmer, bemerkte nicht, dass der
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