Verbotene Nähe
anschrie. Das Objektiv der Kamera war von Sprühnebel bedeckt, und er musste blinzeln, um das Gesicht der Frau zu erkennen. »Kennen wir sie?«
»Das ist ... das ist Lana Prescott«, nuschelte Evelyn undeutlich, weil sie offenbar bereits angetrunken war, obwohl es noch nicht einmal halb sechs war.
»Jesus, Evelyn, hast du jetzt Halluzinationen? Lana Prescott ist tot.« Evelyn würde sich bei dem Rennen um den Sitz im Senat noch als Belastung erweisen.
Georges Wahlkampfleiter wollte nicht, dass er das Thema Scheidung ansprach, aber besser jetzt als nie.
»Siehst du das denn nicht? Ich sage dir, das ist Lana Prescott!« Inzwischen zitterte Evelyn am ganzen hageren Körper, als sei sie alt und schwach - der Himmel wusste, wie alt die Sauferei sie gemacht hatte.
»Lana Prescott ist seit dreiundzwanzig Jahren tot.« Das wusste er besser als jeder andere.
»Ja, ich weiß.« Evelyn sank nach hinten in die Couch.
Sie sah ihn nicht an. Sie ließ den Fernseher nicht aus den Augen, und allein schon deshalb blieb er wie angewurzelt stehen. Normalerweise sah sie ihn an, wo immer sie gerade waren, flehte mit großen braunen Augen um seine Aufmerksamkeit wie ein junger Cockerspaniel. Ihr ungewöhnliches Benehmen und dass sie einen Geist zu sehen behauptete, ließ ihn sich fragen, was in ihrem verdrehten kleinen Hirn vor sich ging.
Dann zoomte der Kameramann die Reporterin in Großaufnahme heran.
Ein Windstoß blies ihr die gelbe Kapuze des Ölzeugs vom Kopf.
Vor der Kamera tauchte ein Tuch auf und wischte die Linse trocken.
Und George sah, was Evelyn sah.
Schulterlanges lockiges Haar klebte nass und schwarz an dem hübschen Gesicht. Große blaue Augen, die von langen dunklen Wimpern gerahmt waren, zwinkerten den Regen fort. Der blasse, feine Teint, das natürliche zarte Rosa der weichen Wangen, die Grübchen, das zarte Näschen und dieses Lächeln ... ein Mann konnte sich in der Wärme dieses Lächelns sonnen. Ein Mann hätte für dieses Lächeln töten können.
Lana Prescotts Lächeln.
Er trat näher an den Bildschirm. Er vergaß, seinen verbindlichen, energischen Tonfall anzuschlagen, und hörte sich in seinem ländlichen texanischen Akzent fragen: »Wie heißt sie?«
»Kate Montgomery«, flüsterte Evelyn.
»Kate Montgomery«, wiederholte er und lächelte.
»Wer hätte das gedacht? Die kleine Kate Montgomery«
Um zehn Uhr abends war Kate wieder auf Sendung, nur dass sie diesmal das Auge des Hurrikans über sich hatte. Die relative Ruhe verschaffte ihr die Gelegenheit, etwas professioneller zu wirken oder wenigstens nicht so windgepeitscht. Dann machten sie und Malik sich auf den Rückweg in das Hotel, in dem die Reporter Quartier bezogen hatten. Mit einem fröhlichen Winken, das - wie sie hoffte - ihren ungebrochenen Sportgeist bewies, ging sie auf ihr Zimmer.
Sie hatte Sand zwischen den Zähnen. Sie hatte Sand auf der Kopfhaut. Sie war durchnässt und durchgefroren. Sie wollte duschen. Lange und heiß, mit jeder Menge Shampoo und Seife.
Aber ihr Handy blinkte. Sie betrachtete die Telefonnummer auf dem Display und hielt sie für die ihrer Mutter, aber es war ihr Agent.
Die Nachricht auf der Mailbox lautete: »Egal, wann du zurück bist, ruf mich an.«
Vik hörte sich gelassen an, aber er machte außerhalb der Bürozeiten eigentlich keine Geschäfte, und sie konnte sich nicht vorstellen, welcher Notfall ihn dazu veranlasst hatte, um sofortigen Rückruf zu bitten.
Ihre Mutter ... aber nein, das war Unsinn. Falls etwas nicht in Ordnung gewesen wäre, hätte Kate das aus völlig anderer Richtung erfahren. Sie war nach dem, was mit ihrem Vater passiert war, einfach nur nervös.
Aber sie nahm das Telefon ins Badezimmer mit und drückte, während sie die Stiefel abstreifte, auf den Rufknopf.
Vik nahm augenblicklich ab. Kurz angebunden wie immer sagte er: »Ich habe ein Jobangebot für dich.«
»Was?« Sie wollte gar keinen Job. Sie wollte duschen. »Um diese Uhrzeit?«
»Irgendwer in Austin hat deine Hurrikan-Reportage gesehen, und jetzt bietet dir Brad Hasselbeck von KTTV die Stelle der Reporterin fürs Kapitol an. Er hat gesagt, er will dir ein Angebot machen, bevor dich irgendeine andere Station wegschnappt.«
Sie zwinkerte. »Erst finde ich ewig keine Stelle, und jetzt machen die sich Sorgen, dass ein Wettrennen um mich ausbricht?«
»Wir müssen ihm ja nicht sagen, dass es kein Wettrennen gibt. Nimm einfach an.«
Das alles war so gar nicht Vik. Die Uhrzeit, die Eile ... »Warum? Ich habe den Job hier
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