Verbotene Sehnsucht
der Kaffeetasse, aus der er noch nicht getrunken hatte. Mit den Gedanken war er ganz woanders. Cartwright, der ihm in dem kleinen Lokal in der Regent Street gegenübersaß, beobachtete ihn unablässig.
» Du sollst deinen Kaffee trinken, bevor er so kalt ist, dass er zu Eis gefriert.« Mit einer Kopfbewegung deutete Cartwright auf die Tasse.
Der Tag, an dem die Verlobung bekannt gegeben werden sollte, rückte näher– und entsprechend verschlechterte sich seine Stimmung. Er hatte es gründlich satt, Lady Victoria durch die Stadt zu begleiten und den hingebungsvollen Verehrer zu spielen. Und die Marchioness? Nun, ihm fiel zu dieser Frau kein freundliches Wort ein, weshalb er klugerweise die Lippen fest verschlossen hielt, wenn er sich, allzu häufig für seinen Geschmack, in ihrer Nähe aufhalten musste.
» Ich brauche einen anständigen Drink«, murmelte er, stellte die Tasse ab und schob sie über die zerkratzte Oberfläche des Tisches.
» Wie ich sehe, war unser kleines Gefecht nicht in der Lage, deine schlechte Laune zu vertreiben«, meinte Cartwright.
James antwortete nicht, drehte sich nur um und warf einen Blick aus den breiten Fenstern auf die leeren Straßen. Die meisten Leute hatten sich auf den Weg zum Derby gemacht, wo auch er jetzt eigentlich sein sollte, aber an diesem Tag, an dem sich Junihitze über London senkte, konnte ihn rein gar nichts reizen. Das Gedränge in der Menge, der Geruch nach Pferden und Schweiß, die Aufregung und die gespannte Erwartung, all das verfehlte heute seine Anziehungskraft.
Cartwright zog es bereits seit Jahren vor, nicht zum Derby zu gehen. Er hielt das Ereignis für übertrieben und fand ohnehin keinen Gefallen an Wetten, ganz gleich welcher Art.
Die Tür des Lokals öffnete sich, und James war mehr als nur ein wenig überrascht, Armstrong eintreten zu sehen. Ihn hatte er schon längst auf dem Weg zum Derby vermutet.
Stattdessen steuerte der Freund auf ihren Tisch zu und ließ sich auf einen Stuhl fallen.
» Was zum Teufel machst du hier?«, fragte Cartwright überrascht.
Armstrong schenkte ihm keinerlei Beachtung, sondern hielt den Blick fest auf James gerichtet. » Gestern Abend habe ich beobachtet, wie Lady Victoria aus Cliftons Haus gekommen ist.«
Cartwright setzte sich kerzengerade auf, und zwei Augenpaare richteten sich auf James und warteten begierig auf dessen Antwort. Es dauerte eine kleine Weile, bis vollständig in sein Bewusstsein drang, was die Enthüllung des Viscounts zu bedeuten hatte. Bedeuten konnte.
Kopfschüttelnd starrte er seinen Freund an. Endlose Sekunden verstrichen, bevor er das Wort ergriff. » Du glaubst doch nicht im Ernst, dass…« Er schlug mit der Hand auf den Tisch, dass es krachte. » White’s! Das würde erklären, warum Clifton mich damals angeschaut hat, als wollte er mich am liebsten in Stücke reißen.« Erregt stand er auf und schickte sich zum Gehen an.
» Brich jetzt nicht so überstürzt auf«, meinte Cartwright ruhig, » vielleicht gibt es ja eine vollkommen harmlose Erklärung dafür.«
» Die sie mir ganz sicher bieten wird, wenn ich sie danach frage.«
Armstrong rückte näher an den Tisch. » Ich kann es kaum glauben, dass Lady Victoria das Risiko eingeht, alles aufs Spiel zu setzen und sich mit Clifton erwischen zu lassen. Die Marchioness hat immerhin dem Snobismus in der Gesellschaft eine ganz neue Dimension verliehen. Wenn du nicht über riesige Ländereien und Beteiligungen verfügen würdest«, er warf James einen vielsagenden Blick zu, » dann wärest du ihr trotz deines Titels nicht gut genug gewesen. Dann hätte es schon mehr sein müssen als ein Earl.«
James nickte.
» Nun, wenn ich du wäre– und ich bin überglücklich, dass es nicht so ist–, dann würde ich mich an Clifton wenden, nicht an Lady Victoria.« Cartwright sah so weise aus, als sei er viel älter und reifer als ein Mann von Mitte zwanzig. » Wenn sie dich tatsächlich belogen hat, wer garantiert dir, dass sie diesmal die Wahrheit sagt? Wer sagt dir, dass sie dir nicht irgendein Märchen auftischt, warum sie sich bei Cliftons Haus aufgehalten hat?«
» Ich denke, Cartwright hat recht«, meinte Armstrong.
» Der Mann verachtet mich, er wird mir gar nicht zuhören«, brummte James.
Cartwright lachte auf. » Seit wann stört dich das?«
In James’ Mundwinkeln zuckte ein Lächeln. Er wusste, wie er mit anderen Menschen umzugehen hatte. Meist vernünftig, aber wenn es sein musste auch mit Druck oder sanfter Gewalt.
» Ich kann
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