Verbotene Sehnsucht
Sündenbock gewesen. Vermutlich war sie sogar nachts nur in sein Haus gekommen, um ihn zur Not in diese Falle locken zu können. Weil er sich betrogen fühlte, wollte es ihm nicht gelingen, auch nur einen Hauch Mitgefühl mitihrerverzweifelten, schier ausweglosen Situation zu empfinden.
» Ich nehme an, dass ich nicht der Vater des Kindes bin, das Sie erwarten. Vorausgesetzt, dass die Schwangerschaft überhaupt existiert«, bemerkte James. Ein zynisches Lächeln umspielte seine Lippen. » Haben Sie vielleicht Dr. Litchfield bestochen, damit er die ethischen Grundsätze seines Berufs vergisst und für Sie lügt?«
Sie schüttelte heftig den Kopf, hielt seinen Blick lange fest. » Nein, so dürfen Sie nicht über ihn denken. Das würde er nie tun, weder für Geld noch für gute Worte oder gar andere Dinge. Ich bekomme wirklich ein Kind. Was das betrifft, habe ich Sie nicht angelogen. Deswegen stecke ich ja in dieser unhaltbaren Lage.«
» Ist in jener Nacht irgendetwas zwischen uns geschehen?«
James erkannte die Wahrheit in ihrem Blick, bevor sie antwortete. » Nein.«
Das hieß, er war nicht einmal mit ihr ins Bett gegangen. » Wie kann es dann sein, dass ich am nächsten Morgen in meinem Zimmer aufgewacht bin und mich an rein gar nichts mehr erinnern konnte, was am Abend zuvor geschehen war?«, stieß er mit mühsam unterdrücktem Zorn hervor.
Angst flackerte in ihrem Blick.
Sie schluckte krampfhaft. » Aber Sie wissen doch noch, wie verzweifelt ich an jenem Abend war«, flehte sie und strich sich eine aschblonde Locke aus dem Gesicht, die eine Böe hineingeweht hatte. Bevor sie fortfuhr, atmete sie tief durch. » Ich habe ein wenig Schlafmittel in Ihren Drink geschüttet, als Sie aufgestanden sind, um mir etwas einzuschenken.«
James glaubte, explodieren zu müssen, und sprang auf. » Du liebe Güte, Sie haben mir ein Opiat verabreicht! Sie hätten mich umbringen können! Ich vertrage Drogen nicht, absolut und überhaupt nicht!«
Das mussten seine Eltern vor vielen Jahren schon erfahren, als er zwölf Jahre alt war und man ihm wegen eines gebrochenen Knöchels eine Prise Laudanum verabreichte und er in einen so tiefen Schlaf sank, dass seine Mutter befürchtete, er werde nie wieder aufwachen. Als er am nächsten Tag endlich zu Bewusstsein kam, konnte er sich kaum noch daran erinnern, dass er zuvor vom Baum gestürzt war.
Victoria sah so erschrocken aus, als ob er sie geschlagen hätte. » Du lieber Himmel, es war doch nur eine winzige Dosis. Gerade eben so viel, damit Sie einschlafen. Bitte glauben Sie mir, ich wollte Ihnen nicht schaden. Niemals.«
Er warf ihr einen Blick zu, der ihr wortlos zu verstehen gab, dass sie das auf ganz andere Art getan hatte– nämlich indem sie ihn zur Heirat zwingen wollte. Erneut stieg ihr Schamesröte ins Gesicht. » Ich wollte nur sagen, dass ich Ihnen keinen körperlichen Schaden zufügen wollte.«
Grimmig setzte er sich wieder auf den harten Stuhl. » Und jetzt erklären Sie mir, warum Sie all das getan haben«, verlangte er und blickte sie kühl an, während er auf ihre Antwort wartete.
Victorias Hände zitterten, als sie ihre Röcke glatt strich, doch ansonsten schien sie sich gefasst zu haben. » Meine Mutter ist nicht einfach«, sagte sie schlicht.
James lachte höhnisch. Wollte sie ihm jetzt mit neuen Entschuldigungen kommen?
» Wie Sie inzwischen selbst bemerkt haben dürften, schätzt sie Rang und Geld mehr als alles andere, und sie besteht darauf, dass ich eine glänzende Partie mache. Ich fürchte, dass mich das gleiche Schicksal ereilt wie Lillian, wenn sie herausfindet, wie sich die Sache wirklich verhält.« Ihr Blick verdüsterte sich bei der Erwähnung ihrer Schwester und ließ sie erneut gequält und verzweifelt aussehen.
» Ich dachte, Ihre Schwester sei mit einem französischen Grafen verheiratet und nach Frankreich übergesiedelt«, meinte er.
Victoria lächelte traurig. » Das ist es, was meine Mutter die Gesellschaft glauben macht. In Wahrheit hat sie Lilly auf dem Kontinent in einer Irrenanstalt untergebracht.«
James zog die Brauen hoch. » Grundgütiger, warum das?«
» In ihrer ersten Saison wurde sie vom Sohn eines Geschäftsmanns in Kent schwanger, doch meine Mutter hat sich strikt geweigert, Lillian eine Heirat mit David zu erlauben. Sie hat Lilly fortgeschickt, bis das Kind geboren war, und sie dann gezwungen, es fortzugeben. Meine Schwester war über den Verlust ihrer Tochter völlig verzweifelt und hat versucht, sich zu
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