Verbotene Sehnsucht
zweitgeborenen Sohn lastet viel weniger Druck, denn er muss nicht irgendwann einem bedeutenden Titel gerecht werden.«
Missy konnte nicht anders, als laut aufzulachen. » Alex ist wie ein großer Bruder für mich. Himmel nochmal, er hat mich schon auf den Knien geschaukelt.«
» Das spielt keine Rolle. Besser, als sich in den übelsten Schurken zu verlieben, der weit und breit herumläuft.«
» Vielleicht seid ihr zwei deshalb so dicke Freunde geworden«, meinte sie trocken.
Thomas lachte leise. Nie hatte es ihn gestört, welcher Ruf ihm vorauseilte.
» Ich muss wieder los, nachdem du mich mehr oder weniger gezwungen hast, deine Bitte vorzubringen. Außerdem habe ich eine Nacht voller Ausschweifungen geplant– mit einem armenMädchen, das nicht die geringste Ahnung hat, was ihm blüht.«
Missy verschränkte die Arme vor der Brust. » Hm, handelt es sich um dieselben Mädchen, die du üblicherweise mit Stöcken vertreiben musst?«
» Ich bin nicht so brutal, Stöcke zu verwenden, meine Liebe«, sagte er mit gespieltem Entsetzen.
» Thomas, ich werde geduldig warten.«
Er hob eine Braue. » Worauf?«
» Dass die verdiente Strafe dich ereilt. Ich hoffe nur, dann auch hier zu sein, um es bezeugen zu können.«
Lächelnd drehte er sich um und schlenderte aus dem Zimmer, während er die Melodie vor sich hin summte, die sie fehlerhaft auf dem Klavier gespielt hatte.
Victoria machte sich Sorgen. Es lag schon fünf Tage zurück, seit sie das letzte Mal von George gehört hatte. Zu ihrem letzten Rendezvous war er nicht erschienen und antwortete auf keine ihrer Nachrichten. Bestimmt wusste er inzwischen von den Gerüchten, die über sie und James in Umlauf waren. Dabei hatte sie unbedingt mit ihm sprechen wollen, bevor die Werbung offiziell bekannt gegeben wurde. Aber ihrer Mutter konnte es nicht schnell genug gehen. Nur die Nachricht von Napoleons Niederlage hatte schneller in London die Runde gemacht als die von ihrer bevorstehenden Verlobung mit dem künftigen Earl of Windmere. Warum nur musste ihre Mutter immerzu dermaßen prahlen?
Das Herz schlug Victoria bis zum Hals, als sie zaghaft den Türklopfer am Eingang seines Hauses betätigte. Sie flehte innerlich, er möge ihr die Gelegenheit zu einer Erklärung geben, bevor er sich gezwungen sah… Nun ja, so genau wusste sie nicht, wozu er sich gezwungen sehen könnte.
Dalton, der Butler, öffnete. An seinem überraschten Gesicht konnte sie ablesen, dass er mit allen möglichen Leuten gerechnet hatte, aber ganz gewiss nicht mit ihr– obwohl sie nicht das erste Mal zu Besuch kam.
» Äh, Lady Victoria… Ich glaube, Sir George erwartet Sie nicht.« Trotzdem trat er zur Seite, um ihr den Zutritt zum Foyer zu gestatten, einem eher kleinen Raum, der in Braun, Gold und Grün gehalten war.
Victoria lächelte ihn schüchtern an. » Ist er zu Hause? Ich müsste dringend mit ihm sprechen.«
Einen Moment lang sah Dalton unschlüssig aus. Sein Blick fiel auf die verschlossene Tür der kleinen Bibliothek. Dann straffte er sich, nickte kurz und sagte: » Ich will mich erkundigen, ob Sir George Besuch empfängt.« Rasch durchquerte er die Halle und klopfte dreimal leicht an die geschlossene Tür, bevor er sie öffnete und in der Bibliothek verschwand.
Irgendetwas stimmte nicht. Victoria konnte es deutlich spüren. Dass sie als » Besuch« bezeichnet wurde, machte ihr klar, dass es viel schlimmer aussah, als sie es sich vorgestellt hatte. Als auch ihr dritter Brief unbeantwortet blieb, wusste sie ohnehin, dass es nicht zum Besten stand, doch sein Schweigen empfand sie als völlig unerträglich.
Victoria war ein paar Schritte nach vorne gegangen, um einen Blick in die Bibliothek werfen zu können, wenn Dalton wieder herauskam.
» Er wird Sie jetzt empfangen.« Der Butler deutete auf die geöffnete Tür.
Victoria reichte ihm Haube, Umhang und Handschuhe, atmete tief durch und bereitete sich darauf vor, dem Geliebten gegenüberzutreten.
Kaum hatte sie die kleine, sehr volle, aber behagliche Bibliothek betreten, erkannte sie auf Anhieb, warum Dalton sie eigentlich nicht vorlassen wollte.
George sah fürchterlich aus.
Von den Haarspitzen, die teils vom Kopf abstanden, teils platt anlagen, bis zu den nackten Füßen war er nichts anderes als ein Wrack. Der Bart auf Oberlippe und Kinn, den er sonst so tadellos trimmte, schien seit Tagen vernachlässigt. Er trug ein cremefarbenes Leinenhemd, das zerknittert und verschwitzt war, und ähnlich verschmutzt wirkte auch seine
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