Verbotene Sehnsucht
alles mein Fehler«, klagte Missy mit dünner Stimme.
Ihre Mutter widersprach nicht, lächelte nur traurig. » Ich habe nicht vergessen, wie es ist, jung und verliebt zu sein. Ich wünschte nur, dass… dass du noch gewartet hättest. Um deinetwillen. Nicht um meinetwillen. Außerdem ist James praktisch mit Lady Victoria verlobt, wie mir zu Ohren gekommen ist.«
Missy zuckte unwillkürlich zusammen, als die bevorstehende Hochzeit der beiden erwähnt wurde, doch fehlte ihr im Moment die Kraft, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Und über ihn. James konnte nichts tun, um ihr zu helfen, ungeachtet der Umstände, in denen sie sich möglicherweise befand.
» Falls ich wirklich schwanger bin, werde ich in Amerika bleiben und das Baby dort bekommen. Mama, ich verspreche dir eines: Ich lasse es nicht zu, dass durch mein Verhalten Emilys und Sarahs Chancen auf eine gute Partie verdorben werden.«
» Meine Sorge gilt jetzt vor allem dir. Ich denke gar nicht daran, dich nach Amerika segeln und dort das Kind zur Welt bringen zu lassen, ohne dass deine Familie bei dir ist. Und schon gar nicht ohne mich.« Die zarten Falten an ihren Augen und in den Mundwinkeln zeigten, wie sehr es sie schmerzte.
» Darüber wollen wir jetzt nicht nachdenken. Vielleicht bekomme ich ja gar kein Kind.«
Die Viscountess kam zurück zu ihr ans Bett, zog sie sanft in die Arme und flüsterte: » Wir werden das durchstehen, ganz egal, wie hoch der Preis für uns sein wird. Ich könnte dich niemals aufgeben.«
Missy schmiegte sich eng an ihre Mutter und zog Kraft aus deren unerschöpflicher Weisheit und Liebe.
Es war erstaunlich, in welchem Licht die Welt plötzlich erschien, wenn einem eine tonnenschwere Last von den Schultern genommen worden war, fand James. Irgendwie schien die Sonne heller zu scheinen als an den Vormittagen zuvor, zumal die graue Wolke, die am Morgen über der Stadt lag, weitergezogen und ein ungetrübter sonniger Sommertag angebrochen war.
James genoss ein herzhaftes, verspätetes Frühstück: Erdbeeren, Eier, Schinken, frische Brötchen, dampfend heißer Kaffee, den er schwarz trank– all das verzehrte er mit einem Appetit wie seit Wochen nicht mehr. Und jetzt, nachdem die Sache mit Victoria bereinigt war, hatte er bereits eine Entscheidung gefällt, was Missy betraf.
Er würde sie heiraten. Genau wie er es eigentlich immer vorgehabt hatte, ohne es in sein Bewusstsein zu lassen. So einfach war das.
Allerdings wollte er selbst für sie nicht alle Freiheiten aufgeben, ihr nicht ewige Treue und Liebe versprechen. Wenn ihm danach war, würde er sich eine Geliebte nehmen und anders als sein Vater niemals um Liebe oder Sex betteln– jedenfalls nicht bei der Frau, die sie ihm eigentlich bereitwillig gewähren sollte. Doch diese grundsätzlichen Überlegungen hatten nichts damit zu tun, dass er sie in einer noch nie erlebten Weise begehrte und sie zu der Seinen machen wollte. Trotzdem hielt er es für besser, dieses Verlangen ein wenig zu dämpfen, damit es ihn nicht in Abhängigkeit von ihr brachte. Schließlich waren Lust und Begierden gefährliche Schwachheiten, die sich leicht ausnutzen ließen.
Insgesamt also war James überaus zufrieden an diesem Tag und wollte sich gerade in die Bibliothek zurückziehen, als sein Butler einen Besucher meldete. » Lord Armstrong wünscht Sie zu sehen, Mylord«, verkündete er.
» Bitten Sie ihn herein«, antwortete James und legte die Morgenausgabe der Times beiseite.
Er stand auf, lächelte ungezwungen und herzlich, als sein Freund eintrat und sich ihm rasch näherte. Was er nicht sah, war die Faust, die ihn Sekunden später mit der Gewalt eines Rammbocks aufs rechte Auge traf, doch die Auswirkungen spürte er bis in die Zehenspitzen, und er taumelte.
In seinem Kopf schien etwas zu explodieren, und er sah Funken in allen Farben des Kaleidoskops. » Was zum T…«, setzte er zu sprechen an.
» Verdammt nochmal, meine eigene Schwester! Du Dreckskerl!«
Lieber Himmel, Armstrong war ihm und Missy auf die Spur gekommen. Der zweite Schlag traf ihn unter das Kinn, presste die Zähne des Unterkiefers in die Oberlippe. Sein Mund schmeckte nach Blut. James ging in die Knie.
Er blinzelte und sah, dass der erschrockene Butler davoneilte– vermutlich holte er Unterstützung, um das Durcheinander zu beenden.
Er zog sich genau in dem Moment wieder hoch, als Armstrong zu einem dritten gewaltigen Hieb ansetzte, dem er zum Glück jedoch ausweichen konnte. Als Thomas dadurch selbst ins
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