Verbotene Sehnsucht
an ihren Augen konnte man ablesen, dass sie Bescheid wusste. » Du hast es getan, nicht wahr? Du bist keine Jungfrau mehr.«
Missy gab sich keine Mühe, es abzustreiten. Stumm senkte sie den Kopf, weil sie die Enttäuschung und den Schmerz im Blick ihrer Mutter nicht ertragen konnte.
Das Schweigen dauerte schon viel zu lange, sodass sie schließlich aufzublicken wagte.
» O Missy«, seufzte Lady Armstrong leise.
» Es tut mir leid, Mama«, erwiderte sie mit tränenerstickter Stimme.
» Bist du schwanger?«
» Ich glaube nicht. Ich bin mir nicht sicher.« Lieber Gott im Himmel, hoffentlich das nicht auch noch.
» Aber es ist möglich, oder?«
Missy nickte zaghaft.
» Und der Vater?«, fragte ihre Mutter und blinzelte mit feuchten Augen.
Missy drehte sich weg und schüttelte entschlossen den Kopf. Wie sollte sie ihr die Wahrheit sagen können? James war für sie wie ein Sohn. Es würde alles verderben. Und war das Unheil nicht schon groß genug?
Als sie das leise Schluchzen hörte, drehte sie sich wieder zu ihrer Mutter. Das letzte Mal hatte sie sie bei der Beerdigung ihres Vaters weinen sehen, damals vor zehn Jahren. Danach nicht mehr. Ihre Mutter ließ niemanden mehr ihre Gefühle und ihre Trauer sehen, dachte ausschließlich an ihre Kinder und wie sie es ihnen erleichtern konnte, mit dem Verlust des Vaters umzugehen. Jetzt aber rannen ihr die Tränen über die weichen, blassen Wangen.
» Millicent, das ist eine Sache, die du kaum für dich behalten kannst. Natürlich musst du es mir erzählen, und dann werde ich es deinem Bruder sagen müssen. Der betreffende Mann hat dir immerhin deine Unschuld geraubt. Er muss dich heiraten.« Die Viscountess griff nach dem Taschentuch auf dem Nachttisch und tupfte sich Augen und Wangen ab.
Mit panisch aufgerissenen Augen schoss Missy hoch und umklammerte fest die Hand ihrer Mutter. » Mama, du darfst es Thomas nicht erzählen. Du kennst doch sein Temperament. Er wird ihn umbringen. Oder selbst umgebracht werden. Außerdem sind wir nicht einmal sicher, ob überhaupt etwas passiert ist.«
» Was darfst du mir nicht erzählen?«
Weder Missy noch die Viscountess hatten bemerkt, dass Thomas in der Tür stand. Der bedrohliche Unterton in seiner Frage war nicht zu überhören.
Ein Angstschauder überlief ihren Rücken, und das Herz schlug ihr bis zum Hals, machte es ihr unmöglich zu schlucken, geschweige denn zu sprechen. Sie konnte kaum blinzeln, so stark war ihre Furcht.
» Missy, wenn es nun so ist, wirst du es kaum vor ihm verbergen können. Ich muss dich nicht daran erinnern, dass dein Bruder der Mann im Hause ist und alles Recht der Welt hat, es zu erfahren.« Nachdem die Viscountess ihre Tränen getrocknet hatte, war ihre Traurigkeit einer bestimmenden Entschlossenheit gewichen.
Mit bedrohlich zusammengekniffenen Brauen kam Thomas zum Bett. » Was muss ich erfahren?« Er war vollkommen ruhig, aber es war die Ruhe vor dem Sturm. Er sprach jedes Wort mit qualvoller Genauigkeit aus.
Missy versank immer tiefer in ihren Kissen, obwohl sie sich bemühte, nicht feige zu wirken. Die Viscountess erhob sich von der Bettkante und baute sich vor ihrem Sohn auf wie eine Mutter, die ihr Junges verteidigen will.
» Ich befürchte, dass Missy in guter Hoffnung sein könnte.«
» In guter Hoffnung? Worauf?« Thomas warf ihr einen verwirrten Blick zu. Es brauchte ein paar Sekunden, bis ihm die volle Bedeutung der mütterlichen Worte dämmerte und er sogleich vor Wut zu kochen begann.
» Ich bringe ihn um!« Er schlug mit der Faust so heftig gegen den Bettpfosten, dass das ganze solide Mahagonibett mitsamt seiner Schwester, die darin lag, wackelte.
» Wer ist es?«, fragte er mit unheilvoller Stimme.
» Sie weigert sich, seinen Namen zu nennen.« Die Viscountess trat näher zu ihrem Sohn und legte ihm die Hand zögernd auf die Brust. » Aber du solltest nichts überstürzen. Wir müssen einen klaren Kopf behalten.«
Thomas schenkte seiner Mutter keine Beachtung und starrte Missy an. » Du wirst es mir sagen«, befahl er in einem Tonfall, der keinen Widerspruch duldete.
Trotzdem brachte sie nicht einen Ton heraus. Wie sollte sie auch sprechen können, wenn sie kaum zu atmen wagte. Seine Wut war gewaltig wie ein Wirbelsturm, der sie in seinen Sog zu ziehen und zu verschlingen drohte.
Sie schwiegen. Und dieses Schweigen stellte sie beide auf die Probe– die dumpfe Ahnung ihres Bruders ebenso wie ihre feste Entschlossenheit.
» Gut«, schnappte er nach ein paar
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