Verbotene Wege - Link, C: Verbotene Wege
nach einer Weile ein, doch nicht aus einer gesunden Müdigkeit heraus wie bei ihrer Rast einen Tag zuvor, sondern in einem Zustand tiefster Schwäche. Elizabeth dämmerte ein wenig vor sich hin, roch den feuchten Duft der Walderde, grub ihre Hände in samtiges Moos. Die ungeheure Wandlung ihres ganzen Lebens kam ihr in dieser Stunde so deutlich zu Bewußtsein wie selten. Elizabeth Landale, das Mädchen
aus Louisiana, das Mädchen aus dem alten Schloß in Norfolk, Joannas Gefährtin und Miss Brandes Opfer, sie lag hier im Wald auf dem Boden, in einem halbzernssenen alten Kleid, neben einem angeschossenen Mann, und ihr Dasein war Flucht, Angst, Armut, Unsicherheit, aufgewogen durch nichts anderes als eine Liebe, die mit jedem Tag stärker und größer wurde, deretwegen sie keine Last als Opfer empfinden konnte.
Am Nachmittag brachen sie wieder auf. Elizabeth hätte keine Ahnung gehabt, in welche Richtung sie gehen mußten, aber John behauptete, er wisse den ungefähren Weg. Am Abend bekam er Fieber, seine Augen glänzten unnatürlich, die Wangen röteten sich.
»Du müßtest irgendwas essen«, sagte Elizabeth verzweifelt, »sonst brichst du ganz zusammen. Seit gestern abend haben wir nichts mehr gehabt.«
»Ja, schon, aber wir können wohl kaum die nächste Wiese abgrasen! «
»Du bleibst am besten hier, und ich suche in der Gegend nach einem Bauernhof. Es gibt bestimmt Menschen in der Nähe.«
»Unglücklicherweise haben wir unser ganzes Geld in diesem Wirtshaus liegenlassen. Du müßtest entweder stehlen oder betteln. «
»Ich werde es erst mit Betteln versuchen.«
Elizabeth strich sich mit beiden Händen über die Haare, um sie ein wenig zu ordnen. Sie mußte wie eine Zigeunerin aussehen, schwarzlockig, barfuß und mager. Hoffentlich ließ man sie überhaupt erst zu Wort kommen, ehe man sie fortjagte.
In die einfallende Dämmerung hinein ging sie davon, viel aufrechter und entschlossener, als ihr eigentlich zumute war. Henrys und Sarahs Tochter, die als Bettlerin zu den Leuten ging! Sie fand es fast ein bißchen erheiternd, aber der kurze Anflug von Mut verging wieder, als sie aus dem Wald auf eine Wiese trat und vor sich ein stattliches Gehöft liegen sah. Ein paar Hühner liefen gackernd noch herum, aus den Ställen drang das behagliche Muhen von Kühen und das Schnauben von Pferden. Die sanfte Ruhe eines Sommerabends lag über dem Anwesen. Elizabeth straffte
ihre Schultern und holte tief Luft. Hocherhobenen Hauptes ging sie auf die Tür des Hauses zu und klopfte ohne zu zögern an. Es dauerte eine Weile, dann wurde geöffnet, und eine junge, völlig verhärmte Frau stand Elizabeth gegenüber. Der kalte, illusionslose Ausdruck ihrer Augen erinnerte an Laura Northstead, auch ihre harte Stimme.
»Was wollen Sie hier?«
»Ich möchte um etwas zu essen bitten«, erwiderte Elizabeth. Sie wußte, daß ihre Sprache vornehm klang, daß ihre Haltung Bildung und gute Herkunft verriet, aber offenbar reichte das nicht, ihre äußere Verwahrlosung aufzuliegen. Die andere musterte sie mit unverhohlenem Abscheu.
»Verschwinde«, sagte sie rauh, »wir dulden hier keine Landstreicher und Zigeuner!«
»Ich bin weder eine Landstreicherin noch eine Zigeunerin. Ich lebe in London, und durch ein Mißgeschick...«
»Du sollst endlich verschwinden! Ich hetze gleich die Hunde los!«
Elizabeth hatte das Gefühl, daß es ihr Ernst war, und wich einige Schritte zurück.
»Ich wünsche Ihnen, daß Sie auch einmal in meine Lage kommen«, sagte sie heftig, »und daß Sie dann ebenso freundlich behandelt werden wie ich jetzt!«
»Hau ab!« schrie die Frau. Ihr Gesicht war voller Haß und Zorn. An ihr vorbei aus dem Haus drang der Geruch von irgend etwas Gekochtem, so daß es Elizabeth fast schwarz vor den Augen wurde.
»Bitte«, versuchte sie es ein letztes Mal, denn ihre Gedanken gingen zu John hin, der so entsetzlich schwach und elend im Wald lag, »bitte, nur ein kleines Stück Brot!«
Die Stimme der Bäuerin wurde leise und zischend.
»Verdammte Bettlerin«, sagte sie, »mach, daß du fortkommst, ehe du Unheil über uns bringst!«
Sie schlug die Tür zu. Elizabeth schrak zusammen, dann wandte sie sich um und ging davon, so ruhig und gleichmäßig wie möglich, denn sie war sicher, daß die Frau ihr nachsah. Sie
fühlte sich gedemütigt und plötzlich kraftlos. An einem Weidezaun hielt sie sich fest, schloß für einen Moment die Augen und spürte die letzten rötlichen Sonnenstrahlen auf ihrem Gesicht. Sie dachte an Heron
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