Verbotene Wege - Link, C: Verbotene Wege
energischere Frau, dachte Joanna bitter, hätte schon damals in London Elizabeth gar nicht erst von uns gehen lassen. Sie hätte ihr lachend erklärt, diese Liebe zu John sei nichts weiter als die leere, übersteigerte Einbildung eines jungen Mädchens, und je eher sie davon geheilt sei, desto besser. John wäre von ihr aus dem Haus gewiesen worden, und er hätte sich, da er nie so verrückt nach Elizabeth war wie sie nach ihm, auch nicht mehr blicken lassen. Wir alle wären nach Heron Hall gegangen und glücklich und zufrieden geworden.
»Warum starrst du schweigend vor dich hin?« erkundigte sich Harriet, »willst du nichts essen?«
»Nein, ich möchte gleich fort zu Edward.«
»Seid ihr verabredet?«
»Ja. Sagen Sie mir bloß noch vorher, woher Sie so rasch fünfhundert Pfund für Elizabeth hatten.«
Es stellte sich heraus, daß Harriet, während die Mädchen bei
der Hochzeit waren, ihre Zofe zu Lord Marchand geschickt hatte, dessen Besitz unmittelbar an den Park von Heron Hall anschloß. Sie ließ ihn bitten, sie unverzüglich aufzusuchen, was er auch sofort tat, da er ein Geschäft witterte. Lord Marchand, als Nachbar besonders gut über die finanziellen Schwierigkeiten der Sheridys unterrichtet, hatte schon häufig angeboten, Wertgegenstände aus Harriets Besitz zu kaufen. Er wußte, daß sich außerordentliche Kostbarkeiten in dem alten Schloß befanden, und brannte darauf, wenigstens einige davon in sein Eigentum zu überführen. Meist hatte sich Harriet recht abweisend verhalten, diesmal bat sie von sich aus, hoheitsvoll zwar, aber durchaus dringlich.
Marchand eilte herbei und kehrte am Abend stolz mit zwei alten Vasen und einem Gemälde nach Hause zurück, wofür er Lady Harriet fünfhundert Pfund bar auf die Hand gelegt hatte. Weshalb die Dame das Geld brauchte, interessierte ihn nicht, und so hatte er keine Ahnung davon, daß die Scheine jetzt zuunterst in einer Reisetasche lagen und in einer ratternden Kutsche nach London unterwegs waren.
Joanna verabschiedete sich eilig von Harriet, denn die Zeit drängte. Sie ließ sich von niemandem begleiten, sattelte selbst ein Pferd und trabte bald darauf zum Parktor hinaus. Sie schlug die bereits vertrauten sandigen Wege zwischen struppigen Kiefernbäumen ein, die mit vielen Biegungen nach Foamcrest Manor, dem Schloß der Gallimores, führten. Es war ein wunderschöner Tag, um zu reiten, sonnig und wolkenlos, dabei nicht so drückend heiß wie die Wochen davor, weil ein sanfter Wind wehte. Im Kiefernwald roch es sommerlich nach Harz und Moos, und von irgendwoher klang das Hämmern eines Spechtes. Joanna ließ ihr Pferd nicht zu schnell laufen, um keinesfalls abgehetzt bei den Gallimores anzukommen. Sie versuchte, nicht an das zu denken, was ihr nun bevorstand, sondern sich auf die Dinge zu konzentrieren, die unmittelbar um sie herum waren, auf Vögel, die aus dem Gebüsch aufflatterten, auf die vielen winzigen Blumen, die im Unterholz blühten, auf eine silbrigglänzende Blindschleiche. Joanna fand, daß etwas Tröstliches von dieser Sommernatur
ausging, ein beruhigendes Gleichmaß, das sie ihr eigenes Schicksal ein wenig gelassener betrachten ließ.
Foamcrest Manor lag nahe dem Meer, unmittelbar angrenzend an das Grundstück der Fitheridges, doch zwischen den beiden Schlössern erstreckte sich ein breites Waldstück. Als Joanna durch das gastlich weit geöffnete Parktor ritt, durchlief sie beim Anblick der gepflegten Rasenflächen, der Bäume und Blumen ein Gefühl von Geborgenheit. Die hellgelben Steine des Schlosses leuchteten warm durch grünes Blättergewirr zu ihr herüber. Das ganze Anwesen gab ihr den Eindruck, als sei es bereit, sie voller Freundlichkeit aufzunehmen. Und doch schauderte es sie gleich darauf bei dem Gedanken, über diese Wege Arm in Arm mit Edward zu gehen.
Vor dem Portal eilte sogleich ein Diener herbei, um Joanna beim Absteigen zu helfen und das Pferd in Empfang zu nehmen. Joanna galt als seltener, aber überaus gerngesehener Gast, so daß ihr bis hinunter zum letzten Küchenmädchen ein jeder freundlich entgegenkam.
Sie strich sich über die Haare, zupfte ihr Kleid zurecht, holte tief Luft und betrat die marmorgetäfelte Eingangshalle, in der soeben Edward die letzten Stufen der Treppe heruntersprang. Sein Gesicht strahlte.
»Ich habe vom Fenster aus gesehen, daß Sie kamen«, rief er. »Wie schön, daß Sie sich wieder einmal hier blicken lassen!«
Joanna erwiderte sein Lächeln, wenn auch etwas verkrampft. »Es ist ein so
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