Verbotene Wege - Link, C: Verbotene Wege
Alles andere, was mir passieren könnte, wäre viel schlimmer.«
Glücklicherweise blieb ihr die ganze Nacht Zeit, sich die richtigen Worte zu überlegen.
Hellwach, mit weit geöffneten Augen lag sie in ihrem Bett, und erst als rosiges Morgenlicht am Horizont heraufdämmerte, schlief sie ein.
8
Es war fast Mittag und die Sonne stand hoch am Himmel, als Joanna erwachte. Sie blinzelte unwillig in das helle Sonnenlicht, das in ihr Zimmer flutete und ihr zeigte, daß der heutige Tag so schön, heiß und wolkenlos war wie die vorangegangenen. Ihr Kopf tat weh, und ihr war schlecht. Außerdem ärgerte sie sich, daß sie so lange geschlafen hatte. Kostbare Stunden hatte sie verloren, aber sie war in dieser Zeit keineswegs klüger geworden. Sie wußte noch immer nicht, was sie zu Edward sagen sollte, und konnte nur hoffen, daß ihr später die richtigen Worte einfielen. Sie stand auf, wusch sich sorgfältig an ihrer Waschschüssel und entdeckte dann erst den weißen Zettel, der direkt an ihrer Zimmertür lag. Jemand mußte ihn durch den Spalt geschoben haben. Als sie ihn aufhob, erkannte sie sogleich Elizabeths Schrift.
»Liebe Joanna«, stand dort, »wenn Du diese Zeilen liest, bin ich schon weg. Es ist noch ganz früh am Morgen. Ich lasse mich jetzt von Eurem Kutscher nach King’s Lynn bringen und versuche von dort einen Wagen nach London zu bekommen. Tante
Harriet hat mir fünfhundert Pfund gegeben. Ich bete zu Gott, daß ich John damit wirklich befreien kann.
Joanna, alles, was geschehen ist, tut mir sehr leid. Ich kann manches, was Du mir sagtest, nicht begreifen, aber ich verachte Dich nicht, und ich ziehe mich auch nicht von Dir zurück. Du bist die beste Freundin, die ich habe. Ich wünsche so, daß Du glücklich bist, doch es scheint, ich mache Dich immer nur unglücklich. Bitte fürchte Dich nicht vor Belinda, sie hat nichts gegen Dich in der Hand. Und bitte verstehe, daß ich zu John gehen muß, und verzeih es mir. In Liebe, Deine Elizabeth.«
»Ich verstehe es, aber ich verzeihe es trotzdem nicht«, murmelte Joanna, »immer läßt du mich in den schwierigsten Stunden meines Lebens allein. Nun«, kampfeslustig zerknäulte sie das Papier und warf es in eine Ecke, »ich werde schon allein fertig, verlaß dich darauf!«
Sie zog ihr schönstes Kleid aus dunkelblauem Samt an, das zwar unmodisch und schon etwas abgetragen war, aber ihren Haaren eine schöne goldene Farbe verlieh. Sie kämmte sich lange, schlang einen Spitzenschal, den Edward ihr einmal geschenkt hatte, um die Schultern, übte vor dem Spiegel noch ein gewinnendes Lächeln, das etwas kläglich geriet, und verließ dann das Zimmer.
Draußen begegnete sie George.
»Wie siehst du denn aus?« fragte er. »Hast du etwas Bestimmtes vor?«
»Das geht dich nichts an«, gab Joanna unfreundlich zurück. »Ist Mutter unten?«
»Das sag’ ich dir nicht.« George fand seine Schwester äußerst unliebenswürdig, und er nahm es ihr besonders übel, daß sie ständig an ihm herumerzog. Er fand es höchst albern, daß sie sich so zickig anstellte, anstatt Edward Gallimore zu heiraten und eine reiche Lady zu werden.
Joanna zuckte mit den Schultern, dann begab sie sich nach unten, wo Harriet im Eßzimmer vor ihrem unberührten Frühstück saß.
»Guten Morgen«, grüßte sie, und ehe Harriet anfangen
konnte, von ihren neuesten Leiden zu berichten, fuhr sie fort: »Elizabeth hat uns bereits verlassen?«
»Ja, in aller Frühe schon gab ich ihr das Geld«, entgegnete Harriet. »Ich konnte nicht schlafen, und so stand ich in erster Morgendämmerung auf. Elizabeth saß auf der Treppe. Ich glaube, sie war heute nacht gar nicht in ihrem Bett.«
Joanna sah in das von Krankheit und Lebensüberdruß erschöpfte Gesicht vor sich, und für einen kurzen Moment kam ihr der Gedanke, daß sie sich von allen Dingen auf der Welt vielleicht am meisten eine starke Mutter wünschte.
Sie verachtete Harriet für ihre Menschenangst und ihr scheues Zurückweichen vor jedem Kampf, aber gerade diese Eigenschaften drohten bereits auf sie abzufärben und sie zu ersticken. Und nie konnte sie von dieser Mutter Hilfe erwarten. Gerade jetzt drängte es sie, zu ihr zu gehen, sich von ihr in die Arme nehmen zu lassen und ihr von allem Kummer zu berichten. Sie wünschte sehnlich, Harriet würde ihr sanft über die Haare streichen und dabei mit fester Stimme verkünden, sie werde für ihr Kind schon alles in Ordnung bringen und es solle sich nur keine Sorgen machen.
Eine nur etwas
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