Verbotene Wege - Link, C: Verbotene Wege
reden.
Abermals kam ein Diener, um sie zu empfangen, aber er war wesentlich freundlicher als der erste. Elizabeth strahlte ihn so gewinnend an wie nur möglich.
»Guten Tag«, sagte sie und fügte ohne Unterbrechung hinzu: »Ich bin Elizabeth Landale. Ich komme, um nach Arbeit zu fragen. Ich würde gerne mit der Dame des Hauses sprechen.«
Ihr Gegenüber sah sie überrascht an.
»Arbeit?«
»Ja. Es wird doch sicher in diesem Haus etwas zu tun geben?« Während sie sprach, schob sie sich etwas vor, um direkt in der Tür zu stehen. Der Diener wich zurück.
»Ich nehme nicht an, daß Sie in der Küche arbeiten möchten?« fragte er. Elizabeth atmete erleichtert auf. Sie mußte überzeugend gewirkt haben. Er hielt sie für eine Frau, die nicht aus den untersten Schichten stammte.
»Nein, nicht in der Küche«, entgegnete sie, in einem Ton, als könne sie es sich leisten, Ansprüche zu stellen, »ich würde gern für Mylady arbeiten!«
Jetzt wurde der Diener etwas kühler.
»Sie meinen, für die Countess Wentlaine?«
Elizabeth biß sich auf die Lippen.
»Natürlich. Für die Countess.«
»Warten Sie. Ich werde fragen, ob die Countess Sie empfangen möchte.« Er verschwand und ließ Elizabeth alleine in der Eingangshalle stehen. Sie blickte sich um und unterdrückte mühsam ein nervöses Lachen. Das hatte sie gut gemacht, direkt in das Haus eines Grafen war sie hineinspaziert. Offenbar handelte es sich um eine reiche Familie, denn alles, was sie an Einrichtungsgegenständen
erblickte, schien kostbar. Nun, dann konnten sie auch gut zahlen, wenn sie sie in ihre Dienste nehmen würden.
Mit leisen Schritten kehrte der Diener zurück.
»Die Countess läßt bitten«, sagte er förmlich. Elizabeth, die das fast nicht zu hoffen gewagt hätte, folgte ihm.
Jetzt mußte sie den besten Eindruck machen, nicht zu aufgeregt sein, aber auch nicht forsch wirken. Ein leichtes Lächeln auf dem Gesicht, trat sie in den Salon.
Die Countess Wentlaine saß vor einem zierlichen Schreibtisch am Fenster, von Kopf bis Fuß in ein Gewand aus reiner Spitze gehüllt. Schweres honigblondes Haar fiel über ihre Schultern bis zur Taille hinab, so dicht und leuchtend, daß Elizabeth zuerst glaubte, eine ganz junge Frau vor sich zu haben. Doch dann, als sie sich umdrehte, merkte sie, daß sie mindestens so alt sein mußte wie Tante Harriet. Sie sah Elizabeth aus klaren, strengen Augen an.
»Miss Landale?«
»Ja, Mylady. Miss Elizabeth Landale.«
Die Countess musterte sie prüfend von oben bis unten. Elizabeth hielt ihrem Blick nur mit Anstrengung stand. Sie spürte deutlich, daß sie diese erfahrene Frau weit weniger täuschen konnte als den unbedarften Diener. Rasch vergewisserte sie sich, daß wenigstens ihre zerrissenen Schuhe nicht unter dem Kleid hervorsahen. Mylady mußte längst erkannt haben, daß sie eine Frau vor sich hatte, die in Armut lebte.
»Welche Arbeit stellen Sie sich vor?« fragte sie, ohne ihre Miene zu verändern.
»Wenn Sie Kinder haben, Mylady«, antwortete Elizabeth, »könnte ich sie unterrichten. Ich spreche Französisch, ich kenne die großen Werke der europäischen Literatur, der Musik und der Kunst. Ich weiß viel über Geschichte und... und Politik!« Gesegnet sei John, dem sie ihre politische Bildung zu verdanken hatte. Und gewissermaßen sogar Miss Brande, die ihr alles übrige beigebracht hatte, auf eine Weise, daß sie es nie vergessen würde. Sie merkte, daß sie die Countess beeindruckte.
»Sie stammen aus einer guten Familie, Miss Landale?«
»Ich bin Amerikanerin, aber ich kam bereits mit acht Jahren nach England. Meine Eltern waren englische Aristokraten, die im letzten Jahrhundert nach Louisiana auswanderten, wo sie an einer Fieberepidemie starben. Ich wuchs bei einer befreundeten Familie auf, im Hause des Lord Sheridy...«
»Oh«, die Countess wies auf einen Sessel, »setzen Sie sich doch, Miss Landale. Ich kenne die Familie Sheridy. Ich habe sie manchmal während der Saison in London getroffen. Bis zu jenem tragischen Unfall vor sechs Jahren.«
»Ja, es war schrecklich. Tante Harriet... ich meine, Lady Sheridy lebt nun ganz zurückgezogen in Norfolk.«
»Ihre älteste Tochter hat das Land verlassen, hörte ich.«
Die Countess war taktvoll genug, auf die näheren Umstände nicht einzugehen. Ihre würdige Miene wirkte jetzt viel freundlicher.
»Wie alt sind Sie?« erkundigte sie sich.
»Zweiundzwanzig.«
»Und Sie leben hier in Devon?«
»Ja.«
»Nun... bitte nehmen Sie es mir nicht
Weitere Kostenlose Bücher