Verbotene Wege - Link, C: Verbotene Wege
hinter der Tür plätscherten weiter. Irgend jemand grölte den Anfang von »Rule Britannia«. Sie mußten betrunken sein dort drinnen, besoffen bis auf den letzten Mann. Auf einmal siegte in Elizabeth die Wut über Erstaunen und Furcht. Entschlossen schob sie den grinsenden Mann beiseite, riß mit kraftvollem Schwung die Tür auf und stürmte in den Salon.
»Was, zum Teufel, geht hier vor?« schrie sie, und ihre Stimme überschlug sich fast dabei. Das Gegröle verstummte. Ein Dutzend Augenpaare blickten sie überrascht an.
Der Raum war voller Männer. Sie lagerten auf den wenigen Sesseln, auf dem durchhängenden Sofa, auf der Fensterbank, auf dem Fußboden. Alle wirkten abgerissen, verdreckt und sehr betrunken. Zwischen ihnen standen etliche leere Branntweinflaschen. Inmitten der ganzen Gesellschaft, auf dem klapprigen Tisch thronend, saß John, sehr verwegen in seinen schwarzen Stiefeln, die wirren Haare mit einem Samtband zurückgebunden, aber aus glasigen Augen in die Welt blickend und mit zackigen
Bewegungen seine Branntweinflasche schwenkend. Er wirkte überhaupt nicht schuldbewußt.
»Oh, Elizabeth«, sagte er, »wie schön, daß du schon da bist!«
»Schon? Es ist mitten in der Nacht!«
»Ja? Nun, setz dich zu uns und trink etwas!«
Elizabeth blieb stehen, bebend vor Zorn.
»Ich hatte dich gefragt, was hier vorgeht!« fuhr sie ihn an.
»Das sind Freunde von mir«, erwiderte John, noch immer nicht begreifend, wie böse Elizabeth war, »Freunde von früher. Manche lebten lange Zeit mit mir in London, und wir haben großartige Dinge dort getan. Frederic«, er wies auf den Mann neben sich, »Frederic hat unsere Flugblätter gedruckt. Samuel und ich haben...«
»Das ist mir alles ganz gleich. Im Augenblick tut ihr ja wohl nichts anderes, als euch zu besaufen.«
»Aber M... Madam«, protestierte Frederic, vom Schluckauf geschüttelt, »nicht solch ein Wort!«
»Sie haben mir nicht vorzuschreiben, wie ich sprechen soll«, fauchte Elizabeth, »und betrunken kann man euch schon nicht mehr nennen!«
»Ich glaube, John«, Frederic bekam ein sehr betrübtes Gesicht, »ich glaube, die Lady mag uns nicht leiden. Sie ist böse auf uns!«
John begriff das nun endlich auch. Er faßte sich an den Kopf, so als versuche er angestrengt, etwas Klarheit in seine Gedanken zu bringen.
»Elizabeth, mein Liebling«, murmelte er mühsam, »bist du wirklich böse?«
»Verdammt, John, ja!«
»Das tut mir leid. Wir haben wohl etwas zuviel getrunken. Und... du Ärmste bist sicher müde...«
»O ja, ich bin müde«, Elizabeth schossen bei diesen Worten vor Erschöpfung, Wut und Schrecken die Tränen in die Augen. Ihre halberfrorenen Finger tauten in der Wärme auf und riefen ihr schmerzhaft den langen, steilen Weg ins Gedächtnis, den sie sich ganz allein gegen den Sturm entlanggekämpft hatte.
»Ich bin ganz furchtbar müde«, fuhr sie mit schwankender Stimme fort, »ich habe den ganzen Tag gearbeitet, viele Stunden lang, seit dem frühesten Morgen, und in der letzten Nacht habe ich kaum geschlafen... mein Gott!« Die Erinnerung an die letzte Nacht gab ihr den Rest. Sie griff nach ihrem Taschentuch, denn die Tränen ließen sich nicht länger zurückhalten. Eine maßlose Enttäuschung bemächtigte sich ihrer, als sei sie verraten und hintergangen worden. Durch den Tränenschleier hindurch erkannte sie, daß die meisten Männer jetzt betroffen und deshalb etwas nüchterner waren.
»Ich schufte mich halbtot, damit wir Geld haben, um am Leben zu bleiben«, schluchzte sie, »und du tust nichts, gar nichts, überhaupt nie etwas, und dann gibst du alles aus für den verfluchten Branntwein, um hier wüste Gelage zu halten...« Sie weinte immer heftiger. Frederic, betrunken wie er war, begann ebenfalls laut zu weinen. John rutschte von seinem Tisch. Auf unsicheren Beinen näherte er sich Elizabeth.
»Liebste, es tut mir so leid«, sagte er, »so sollte das hier nicht enden. Diese Männer haben früher politisch mit mir gekämpft, und heute kamen wir zusammen, um zu beraten, was wir weiter...«
»Ach!« Elizabeth wurde ganz weiß, ihre Tränen versiegten.
»Das also«, schrie sie, »politischer Kampf, Revolution, Widerstand! Du lieber Himmel, versucht doch nicht, mir einzureden, ich sei hier in die hochpolitische Versammlung der heldenhaftesten Kämpfer Englands hineingeraten! Ihr solltet euch einmal sehen! Zum Lachen ist das! Ich wette, ihr wißt nicht einmal, wofür oder wogegen ihr eigentlich kämpft!«
»Doch«, sagte
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