Verbotene Wege - Link, C: Verbotene Wege
Darking«, sagte sie, und da sie nicht zu den Tratschweibern Londons gehörte, erlaubte sie sich kein weiteres Wort, aber ihre Blicke sagten, daß sie für eine Frau wie Belinda nicht das geringste Mitleid empfand.
Wie sich herausstellte, lag das Haus des Earl Locksley auf dem Weg. Joanna hatte es schnell erreicht und betrachtete staunend die prunkvolle Fassade mit den vielen Fenstern und großzügigen Verzierungen aus Sandstein. Sie klopfte an und wurde gleich darauf von einem Hausmädchen eingelassen.
»Lady Gallimore«, fragte sie, nachdem Joanna ihren Namen genannt hatte, »Sie möchten zur Gräfin?«
»Ja.«
»Es tut mir leid. Mylady ist ausgegangen.«
»Oh... wann kommt sie denn wieder?«
»Ich weiß es nicht.«
Joanna war schon versucht, wieder zu gehen, aber dann kam ihr ein Einfall.
»Ist Earl Locksley da?« fragte sie.
Das Mädchen nickte.
»Dann melde mich ihm.«
Das Mädchen verschwand und kehrte schnell wieder zurück.
»Der Graf läßt bitten.«
Joanna trat in die eichenholzgetäfelte Bibliothek, in deren Kamin ein warmes, knisterndes Feuer brannte. Am Fenster lehnte Andrew. Er kam ihr entgegen, als er sie sah.
»Lady Gallimore«, sagte er herzlich, »wie schön, daß Sie zu Besuch kommen. Wir hatten ja gestern kaum Zeit, uns richtig zu begrüßen, da der Abend einen so unerwarteten Verlauf nahm!«
»Ja, alles ging durcheinander.«
»Lady Courtenay hat sich heute früh gleich alle Verlustlisten bringen lassen, die es im Moment gibt. Wir waren sehr froh, den Namen von Lord Gallimore nicht darunter zu finden.« Er wies auf einen Sessel. »Setzen Sie sich doch bitte.«
Er nahm ihr gegenüber Platz und lächelte. Wie früher schon kam Joanna auch diesmal der Gedanke, daß Andrew Courtenay einer der freundlichsten Männer war, die sie je getroffen hatte. Dieser Eindruck war ihr immer von ihm geblieben, obwohl sie selten mit ihm zusammengewesen war. Sie betrachtete ihn genauer, als am Abend zuvor möglich gewesen war, aber das Tageslicht hatte nichts an ihm verändert. Der Mann, den Elizabeth geheiratet hatte. Sie erwartete, wieder das Gefühl zu empfinden, das sie unweigerlich befallen hatte, wenn sie von John auch nur den Namen hörte, aber nichts davon regte sich in ihr. Kein Haß, kein Zorn, nur ein leises Mitleid. Andrew hatte Elizabeth nicht in der Hand, das hatte sie vom ersten Augenblick an gespürt. Er war abhängig von ihr, nicht umgekehrt. Er besaß nicht jene rätselhafte Mischung aus Liebessehnsucht und grausamer Gleichgültigkeit,
die Elizabeth an John geliebt und gehaßt und die sie nahezu um den Verstand gebracht hatte.
»Verzeihen Sie«, sagte sie, »ich sitze hier einfach und starre Sie an ... aber es ist so lange her, seit wir einander zuletzt sahen.«
»Ja, das stimmt. Es wäre schön, wenn wir uns nun richtig kennenlernen würden. Elizabeth hat immer so viel von Ihnen gesprochen. «
»Ja?«
»Ja, über all die Jahre, die sie mit Ihnen verbrachte, bevor sie...« Er brach ab. Joanna schwieg verlegen, dabei war dies genau der Punkt, über den sie so gerne Klarheit gehabt hätte. Schließlich meinte sie zögernd:
»Ich glaube, es war sehr gut für Elizabeth, Sie wiedergetroffen zu haben.«
Er sah sie überrascht an.
»Meinen Sie?«
»Natürlich. Dieser Mann, mit dem sie vorher...«
»Ich spreche nicht gern über ihn«, unterbrach Andrew. Joanna nickte. Armer Andrew, im tiefsten Inneren wußte er, daß er Elizabeth niemals ganz an sich würde binden können. Sie hielt an John fest bis an das Ende ihrer Tage. Leise dämmerte ihr, daß es zwischen ihr und Elizabeth eine viel stärkere Gemeinsamkeit gab, als sie bisher vermutet hatte. Jene unselige Eigenschaft, sich wider alle Vernunft, entgegen Stolz, Wissen und Verantwortung an Menschen zu klammern, die sich um diese Liebe nie verdient gemacht hatten und nie verdient machen würden. Die Unfähigkeit, Abschied zu nehmen von einer Einbildung, und dadurch gezwungen zu sein, in einer Erstarrung zu verharren, die nur Kummer brachte. Elizabeth würde sich ein Leben lang an John binden und sie selbst sich ein Leben lang an Elizabeth, sie beide würden an einen Traum glauben und gleichzeitig über der Erkenntnis seiner Unerfüllbarkeit verzweifeln.
Andrew aber war anders. Sie betrachtete sein sensibles, weiches Gesicht. Er würde aufgeben irgendwann, einfach und ohne eine höhere Erkenntnis, die ihn über seine Gefühle hinaushob.
Sie stand ruckartig auf.
»Ich möchte nicht länger stören«, sagte sie,
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