Verbotene Wege - Link, C: Verbotene Wege
Engländer, ein Sieg Englands nach jahrelangem Kampf... und während sie hier auf die Männer vor Cadiz trinken wollten, war es zwei Wochen zuvor bereits geschehen, hatte dort unten im Mittelmeer irgendwo zwischen dunklen Wellenbergen die Entscheidungsschlacht getobt, ein furchtbarer, langer Kampf um Englands Freiheit, um Englands Sieg über Napoleon Bonaparte. Und sie hatten gesiegt...
Die Starre löste sich von den Gesichtern. Noch wagte niemand an die Toten zu denken, die dieser Kampf gefordert haben mochte. Einigen Frauen liefen Tränen über die Wangen.
»England«, flüsterte Lady Stanford, »England wird immer überleben...«
Draußen schlugen die Turmuhren Mitternacht. Klar und ruhig wie stets klangen die Töne durch die Dunkelheit. Alle zuckten zusammen. Elizabeth bekam große Augen.
»Warum erst jetzt?« fragte sie. »Wo waren die Glocken, als der Sieg verkündet wurde? Wo sind die Freudenglocken, wo das Geschrei der Menschen, wo sind die Siegesfeiern? Es ist ja so still...«
Alle sahen wieder Lord Fitheridge an.
»Ja«, sagte Viola aufgeregt, »es ist völlig still. Was ist denn geschehen? Um Gottes willen, James, es muß doch irgend etwas Schreckliches geschehen sein!«
Lord Fitheridge sah plötzlich grau und eingefallen aus.
»Die Freudenglocken«, sagte er langsam, »es wird keine Freudenglocken geben. England hat gesiegt, aber um den höchsten Preis. Admiral Nelson«, er holte tief Atem, und auf den Gesichtern der Gäste malte sich schreckensvolles, langsames Begreifen.
»Admiral Nelson ist bei Kap Trafalgar gefallen«, sagte er leise.
3
»England erwartet, daß jeder Mann seine Pflicht tut.« Am Tag nachdem die Nachricht des Sieges London erreicht hatte, überschrieb die Times mit den Worten, die Admiral Nelson zu Beginn der Schlacht gesprochen hatte, ihren seitenlangen Bericht über den für England größten Sieg des Jahrhunderts. In allen Einzelheiten wurde der Kampf beschrieben, Nelsons ungewöhnliche Flottenaufstellung, die Ungeschicklichkeit der Feinde, darauf zu reagieren, die schwache Abwehr von Gravinas Leuten, deren Kampfmoral höhnisch als außerordentlich gering bezeichnet wurde. Nach den Meldungen hatte hier eine Truppe
verwahrloster, undisziplinierter, ängstlicher Matrosen einer edlen, pflichtbewußten und tapferen Mannschaft hochachtenswerter Engländer gegenübergestanden, die viel anständiger und dennoch siegreich kämpften. Jeder einzelne von ihnen wurde zum Helden erklärt und für alle Zeiten der Dankbarkeit seines Vaterlandes versichert.
Natürlich gedachte das Vaterland auch des gefallenen Admirals. Nelson war mehr gewesen als der überlegene Kommandant einer Kriegsflotte. Die Legende des Jungen aus Burnham Thorpe wurde nicht allein von seinen Siegen genährt, sondern von der Ausstrahlung, die auf jeden Menschen seiner Umgebung wirkte, von seinem Charme, seinem Geist und seiner Warmherzigkeit. Die großen Männer der Admiralität liebten ihn ebenso wie die kleinsten Schiffsjungen seiner Victory. Sein Tod verdunkelte die Freude über den Sieg mehr, als es der Tod irgendeines anderen Feldherrn vermocht hätte.
Dennoch konnte Joanna ein bitteres Lächeln nicht unterdrücken, während sie die endlosen Berichte über Trafalgar in der Times las. Agatha hatte ihr schon am frühen Morgen die Zeitung besorgt und danach ausgesehen, als habe sie selbst in einer Schlacht gekämpft.
»Sie können sich das Gewühl um die Zeitungsverkäufer herum nicht vorstellen, Mylady«, hatte sie schnaufend, aber stolz erklärt, »als sei ganz London auf den Beinen, um nur schnell alles Wichtige zu erfahren!«
Joanna zog sich wieder in ihr warmes Bett zurück, müde noch von dem gestrigen Fest und fröstelnd vor dem unermüdlichen Regen, der draußen kalt und grau vom Himmel rauschte. Sie glaubte, was sie las — bestimmt war Admiral Nelson ein großartiger Mann gewesen —, aber wenn dort stand, sein Tod nehme dem Sieg den Glanz, dann mußte sie unwillkürlich denken, daß jeder Sieg zu allen Zeiten seine Opfer gefordert hatte, ohne daß irgend jemand außer den Hinterbliebenen den Glanz deshalb verloren sah. Fiel aber der Kommandant, so brach ein ganzes Volk in Tränen aus. Joanna fand, daß zwischen den Matrosen und dem Admiral auch nicht der allerkleinste Unterschied bestand, und kam,
während sie so dalag und las, zu dem Schluß, daß kein Sieg, dem ein Krieg vorausgegangen war, jemals bejubelt werden durfte.
Daneben natürlich kamen ihr Gedanken von Furcht und Sorge um Edward. Sein
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