Verbotene Wege - Link, C: Verbotene Wege
»eigentlich...«
Die Tür öffnete sich, und Elizabeth trat ein, in einen schwarzen Pelzmantel gehüllt, von dem die Regentropfen perlten. Sie sah erschöpft aus.
»Ach, Joanna«, sagte sie ohne große Überraschung, »wie nett, daß du gekommen bist!« Sie warf ihren Mantel ab und sank in einen Sessel.
»Ich bin müde. Oh, hast du etwas von Edward gehört?«
»Nein. Aber Arthur Darking...«
»Ich weiß. Arme Belinda.«
»Hast du die Leute gefunden, die du besuchen wolltest?« fragte Andrew. Sein Gesicht hatte einen gespannten Zug. Elizabeth nickte.
»Sie wohnen noch in demselben Haus wie früher. Da hat sich nichts geändert.«
»Wo warst du?« erkundigte sich Joanna.
»Bei Freunden, die mir und ... John einmal sehr geholfen haben. Sally und Patrick Stewart. Sie leben am Tower, und ich wollte sie einmal wiedersehen und ihnen meine Unterstützung anbieten.«
Joanna merkte deutlich, daß Andrew davon keineswegs begeistert war. Im Gegenteil, sie hatte das Gefühl, daß es ihn quälte.
»Ich muß jetzt wirklich gehen«, meinte sie, »Elizabeth, ich hoffe, wir sehen uns bald einmal wieder?«
»Ja, sicher. Ich werde dich besuchen.« Elizabeth erhob sich und begleitete Joanna bis zur Haustür.
»Wie geht es Tante Harriet?« fragte sie.
»Gut. Obwohl sie natürlich ständig jammert!«
»Natürlich!« Elizabeth lachte etwas, aber es wirkte mühsam. Der Besuch bei ihren Freunden schien sie mitgenommen zu haben, denn es waren Freunde von früher und Freunde von John.
»Ich hoffe, daß Edward bald wieder gesund bei dir ist«, sagte sie zum Abschied. Joanna nickte, dann trat sie hinaus in das fahnengeschmückte, regenverhangene London.
Im November kehrte Edward zurück, gesund zwar, aber abgemagert und zutiefst verstört. Joanna war ganz erstaunt, daß die Nachricht, sie erwarte ihn in London, ihn tatsächlich erreicht hatte. Sie hatte ein Schreiben an die Vertretung der Admiralität in Portsmouth gesandt mit der Bitte, es an Lord Edward Gallimore, Leutnant auf der Victory, weiterzuleiten, und tatsächlich war es zu ihm gelangt. So schickte er nur einen Brief nach Foamcrest Manor, um Lady Cecily mitzuteilen, er sei gesund heimgekehrt, und begab sich nach London.
Eines Morgens, ganz früh im ersten Licht des Tages, stand er vor der Tür, was die öffnende, verschlafene Agatha fast in Ohnmacht fallen ließ. Im ersten Augenblick erkannte sie die abgerissene, unrasierte Gestalt vor sich gar nicht, aber dann schrie sie laut auf.
»Gott im Himmel, Seine Lordschaft ist zurück! Nein, was wird Mylady da sagen! Mylady, schnell!«
Joanna kam müde aus ihrem Zimmer, rieb sich die Augen und erstarrte dann ebenfalls für einen Moment. Dieser magere, verdreckte, zu Tode erschöpfte Mann an der Haustür war Edward, ihr rundlicher, gepflegter, immer etwas zu sehr aufgeputzter Edward!
»Du bist zurück?« fragte sie ungläubig.
»Ja, endlich.« Seine Stimme klang rauh, und sie merkte, daß er sehr erkältet sein mußte.
Weil sie wußte, daß Agatha darauf wartete, ging sie auf ihn zu und schloß ihn in die Arme.
»Gott sei Dank, du hast es überlebt«, murmelte sie.
»Wir haben uns ja solche Sorgen gemacht«, plapperte Agatha, »Ihr Name stand zwar nicht auf den Verlustlisten, aber man weiß doch nie...«
»Ich hätte gern ein heißes Bad«, unterbrach Edward sie, »und dann muß ich eine Weile schlafen.«
Tatsächlich schlief Edward den ganzen Tag, die Nacht hindurch und bis weit in den nächsten Tag hinein. Joanna schlich auf Zehenspitzen umher, um ihn nicht aufzuwecken. Sie war von einer merkwürdigen Rührung ergriffen, seit sie Edward an dem
grauen, nebligen Morgen das Haus hatte betreten sehen. Was ihm früher nie gelungen war, das hatte er jetzt erreicht. Er weckte ein klein wenig Zärtlichkeit in ihr.
Als er schließlich aufwachte und in eine Decke gehüllt in seinem Schlafzimmer vor dem Kamin saß, berichtete er in aller Ausführlichkeit von dem Kampf. Joanna verschwieg, daß er sie langweilte, denn seit Wochen schon sprach nirgendwo mehr jemand von etwas anderem, doch sie nahm an, daß Edward sich seine fürchterlichen Erlebnisse von der Seele reden mußte. In einem stundenlangen, harten, grausamen Kampf waren langsam all jene Werte und Ideale zu unsichtbaren Schatten geworden, an die er bislang geglaubt hatte. Was sein Leben und Fühlen ausmachte, die Worte der Dichter, die er gelesen hatte, Lieder, die er gehört, Bilder, die er geliebt hatte, hielt nicht stand vor Pulverrauch, Kanonenkugeln,
Weitere Kostenlose Bücher