Verbotene Wege - Link, C: Verbotene Wege
amüsierte Elizabeth zutiefst, als sie bemerkte, daß Hortense sich auf den ersten Blick in John verliebte und ihre Augen jedesmal flackerten, wenn er in ihre Nähe kam.
Natürlich waren beide, Elizabeth und John, klug genug, nicht zu verraten, daß sie keineswegs verheiratet waren, wie Marie es als selbstverständlich voraussetzte. Aber auch so wurde ihr Einzug ins Schloß äußerst mißtrauisch beobachtet. Die beiden ältlichen Damen lebten schon lange völlig zurückgezogen von aller Welt, wie eingemauert in die alten, steinernen Gemächer des einsamen Ahnensitzes, der inmitten von Wiesen und Wäldern stand und von einem Burggraben, mit undurchsichtigem, schwarzem Wasser gefüllt, umgeben war, über den hinweg im Sommer die Libellen jagten und an dessen Ufern Frösche quakten. Aus den Wäldern ringsum klangen nur die Rufe der Eichelhäher und das Pochen der Spechte, über die Wiesen bewegten sich im ersten Schatten des Abends die zarten Gestalten der Rehe, und von den Schloßtürmen begaben sich in den Nächten die Eulen zu ihren Rundflügen.
Das Schloß lag etwa zwei Tagereisen von Brüssel und nur ein kleines Stück von dem Städtchen Ligny entfernt, aber es hätte ebensogut irgendwo in einer gottverlassenen Wüste stehen können. Marie und Hortense ließen sich alle Nahrungsmittel von ihrem betagten, halbblinden Diener bringen, der einmal in der Woche nach Ligny oder Sombreffe fuhr, und sie lagen an jedem Sonntag in aller Frühe eine Stunde lang in der düsteren Schloßkapelle auf den Knien, um für ihr Seelenheil zu beten, so daß sie sich auch den offiziellen Kirchenbesuch sparen konnten. Sie hausten in eiskalten Räumen, weil sie vor lauter Geiz lieber froren, als Feuerholz zu verschwenden. Ihre schwarzen Kleider mit den völlig unmodischen ausladenden Reifröcken mußten noch aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts stammen, aber sie gingen so sorgfältig mit ihnen um, daß sie kaum abgetragen wirkten.
»Erstaunlicherweise«, hatte John Elizabeth erklärt, »ist es den beiden immer gelungen, ihr Vermögen durch alle Notzeiten hindurchzuretten! «
Tatsächlich mußten es die Sevignys, solange es sie gab, verstanden haben, sich aus Unannehmlichkeiten herauszuhalten. Die Niederlande, auch der Teil des späteren Belgiens, wurden
seit Hunderten von Jahren hin und her gerissen zwischen österreichischer, spanischer und schließlich französischer Herrschaft, aber weder dies noch die Zeit der Glaubenskämpfe, weder Hungersnöte noch Seuchen, hatten irgendeinen Einfluß auf den Reichtum der Sevignys nehmen können, nicht einmal Napoleon Bonaparte. Als nun, nach endlosen Zeiten der Fremdherrschaft, die Niederlande von den Verbündeten auf dem Wiener Kongreß zum Vereinigten Königreich erklärt wurden, standen die Sevignys so unberührt da, als habe es Jahrzehnte der Revolution und Unterdrückung nie gegeben.
Elizabeth wußte, daß ein Großteil des Vermögens Johns Mutter gehörte, die ihr Erbe nie angetreten hatte, und sie mußte daran denken, wie Johns Vater, der alte, weißhaarige Lord Carmody; vor ihr im Garten von Blackhill gestanden und erklärt hatte:
»John soll sich einmal holen, was ihm zusteht. Erinnere ihn daran, Elizabeth!« Und sie hatte geglaubt, nichts auf der Welt könnte ihn dazu bringen. Nun sah sie mit einiger Befriedigung, wie er sich seinen Anteil zueignete. Es war nur sehr ungewohnt, John im Besitz eines Vermögens zu sehen. Allerdings veränderte ihn das gar nicht. Er verachtete Geld noch genauso wie früher, und er warf es nur deshalb mit vollen Händen zum Fenster hinaus, weil er Marie und Hortense damit treffen konnte. Er hatte ihnen nie den Hochmut verziehen, mit dem sie seine Mutter bedacht hatten, daher rächte er sich nun mit großem Vergnügen. Er tat völlig unsinnige Dinge. Er verschenkte hohe Beträge an Bettler und Landstreicher, erstand in Brüssel Gemälde und Skulpturen, die er viel zu hoch bezahlte, ließ Delikatessen ins Schloß kommen, die ihm gar nicht schmeckten, ihm aber den Genuß gaben, Tante Marie vor Wut erbleichen zu sehen. Elizabeth überhäufte er mit Geschenken, was ihm früher nie in den Sinn gekommen wäre; nun aber badete sie in den teuersten Badesalzen, benutzte berühmte Pariser Parfüms und trug edelsteinbesetzte Kämmchen im Haar. Bis auf die unglückliche Zeit bei Miss Brande war sie immer zierlich gewesen, jetzt, in diesem Schloß, wo sie die eine Hälfte des Tages im Bett und die andere beim Essen
verbrachte, nahm sie zu, wurde kräftig und üppig
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