Verbotene Wege - Link, C: Verbotene Wege
möge.
Sie schafften es noch in derselben Nacht, London zu verlassen. Erst als sie sich jenseits der Stadtmauern befanden, atmeten sie etwas leichter. John erklärte, sie würden bei einer Bauernfamilie in dem Dorf St. Mary Lawn Unterschlupf suchen, denn dort habe Alex gehaust, und die Leute seien ihre Freunde. Elizabeth hatte vorgeschlagen, sich doch bei Sally und Patrick zu verstecken, aber John hielt das für zu gefährlich.
»Wahrscheinlich wurden Alex und die anderen gefaßt«, sagte er, »und es ist möglich, daß man sie zwingt, die Namen unserer Londoner Bekannten preiszugeben.«
»Andrew wird uns nicht verfolgen.«
»Die Miliz wird das tun. Wir haben einen ihrer Soldaten erschossen, vergiß das nicht!«
Elizabeth schwieg. Nie würde sie es vergessen. Sie war nicht stolz auf ihre Tat, sie billigte sie nicht, aber es quälten sie keine Gewissensbisse. Wenn sie daran dachte, so hatte sie das Gefühl einer bitteren Notwendigkeit. Sie hatte keine Wahl gehabt. John oder der andere, und sie hatte entschieden, wie sie entscheiden mußte.
Die Bauern in St. Mary Lawn nahmen John und Elizabeth auf, jedoch nur für ein paar Stunden, denn bis auf die Tatsache, daß sich der Hof wenigstens außerhalb von London befand, war es hier mindestens ebenso gefährlich wie bei Sally. Die Bäuerin, die Alex wie einen eigenen Sohn geliebt hatte, brach in Tränen aus, als sie erfuhr, was geschehen war. Sie kümmerte sich sofort um das Nötigste, machte mitten in der Nacht einige Kessel Wasser heiß, damit die halb erfrorenen Flüchtlinge baden konnten, kochte kräftigenden Kräutertee und schleppte Brot und Butter
und wollene Decken herbei. Elizabeth, die in einer Abstellkammer beim Schein einer einzigen Kerze in der Holzwanne mit warmem Wasser saß und badete, kam es wie ein Traum aus einer anderen Zeit vor, daß sie wenige Stunden vorher im festlichen Theater von Covent Garden gesessen und Lady Macbeth gelauscht hatte, die mit blutbefleckten Händen eine grausige Tat beklagte.
Sie sah Andrew vor sich, aber sie fühlte sich zu müde, um darüber nachzudenken, was er jetzt wohl tat und was diese Nacht für ihn und sein weiteres Leben bedeutete. Einmal kam John herein, um zu sehen, ob sie schon fertig war. Er kniete neben der Wanne auf dem Boden nieder und ergriff Elizabeths nasse Hand.
»Warum bist du damals fortgelaufen und hast diesen Kerl geheiratet? « fragte er.
»Warum hast du nie versucht, mich zurückzuholen?«
»Hätte das irgendeinen Sinn gehabt? Ich dachte, du hättest es dir ein für allemal anders überlegt.«
»O nein«, sagte Elizabeth lächelnd, »du dachtest, ich käme von selbst zurück. Du hast es überhaupt nicht für möglich gehalten, daß ich dir davonlaufen könnte!«
»Nun gut«, gab John zu, »ich hielt es nicht für möglich. Ich glaubte...«
»Du warst dir meiner immer so unglaublich sicher, John, von Anfang an. Du warst davon überzeugt, daß ich dich brauche, und du warst mindestens ebensosehr davon überzeugt, daß du mich nicht brauchst! Sag mir doch«, sie entzog ihm ihre Hand und ließ sie ins Wasser fallen, daß es nach allen Seiten spritzte, »sag mir, was eigentlich hast du je für mich empfunden?« Sie setzte sich aufrecht hin. Das Wasser perlte über ihre Schultern und ihre Brust.
»War es das? Mein Gesicht, mein Körper, meine Jugend? War es genau das, was du bei jeder anderen Frau auch begehrt hättest, du zersetzender, zerstörender, zynischer Mensch? Bist du überhaupt fähig zu lieben? Oder nimmst du nur jeden aus, der dir über den Weg läuft, und gibst nichts zurück?«
John starrte sie an.
»Ob ich fähig bin zu lieben, Elizabeth? Wie kannst du...?«
»Wie kann ich das fragen? Bei deiner großen, wichtigen, heiligen Aufgabe, die Welt zu verändern, hast du leider meistens vergessen, den Menschen um dich herum noch irgendein Gefühl zu zeigen!«
»Trotzdem hast du heute nacht keine Sekunde lang gezögert und bist mit mir gegangen. Als hättest du die ganzen zwei Jahre lang nur auf diesen Moment gewartet.«
Elizabeth blickte hinunter in das Wasser. Sie war so müde, ihr Kopf schwer und die Gedanken verworren, aber dennoch wurde ihr klar, daß John recht hatte.
In den zwei langen Jahren mit Andrew hatte sie nur von dem Augenblick geträumt, in dem sie John wiedersehen würde, und die vielen Stunden, in denen sie sich eingeredet hatte, ihn vergessen zu haben und glücklich zu sein, waren nur eine Selbsttäuschung gewesen.
»Du hast recht«, sagte sie leise, »leider
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