Verbotene Wege - Link, C: Verbotene Wege
wäre!«
»Nun«, meinte Lady Viola, »soviel ich weiß, hält sich doch auch die liebe Elizabeth in dieser Gegend auf?«
»Wir haben lange nichts mehr von ihr gehört«, sagte Joanna kurz und versuchte sich gegen Laurence zu wehren, der eine langstielige Blume aus einer Vase gefischt hatte und Joanna damit aus sicherer Entfernung am Hals kitzelte.
»Vielleicht wird das ja ein richtiges Familientreffen«, lächelte Viola. »Ach, aber arme Harriet! Du hast es schon wirklich schwer!«
»Ich habe es auch schwer«, erinnerte Belinda, »mein Mann ist ebenfalls in Wellingtons Armee. Was gäbe ich darum, ihn endlich einmal wiederzusehen!«
Joanna schöpfte sofort Verdacht und sagte schnell:
»Oh, aber es ist natürlich sehr gefährlich, sich jetzt dort aufzuhalten. Man weiß nicht, an welchem Tag der Kampf beginnt und wie blutig er verläuft. Für Edward mag das ganz aufregend sein − aber ich jedenfalls würde ihn nie begleiten, wenn ich Kinder hätte. Dann fände ich das einfach verantwortungslos!«
Belinda hörte ihr kaum zu.
»Die Kinder könnte ich mitnehmen, dann sähen sie ihren Vater einmal wieder«, murmelte sie vor sich hin, »und überhaupt bin ich noch nie auf dem Kontinent gewesen. Brüssel muß wunderschön sein, und das gesellschaftliche Leben dort ist bestimmt
sehr aufregend. So viele adlige englische Offiziere mit ihren Familien sind dort...« In ihre Augen trat ein wohlbekanntes Glitzern.
»Mutter«, sagte sie entschlossen, »ich begleite Joanna und Edward nach Brüssel!«
»Kind, ich werde keine ruhige Minute mehr haben«, sagte Lady Viola. »Joanna, daß Sie nur ja gut auf sie achtgeben!«
»Belinda sollte sich das wirklich noch einmal überlegen«, sagte Joanna verzweifelt, aber Belinda schüttelte energisch den Kopf.
»Es ist meine Pflicht, in diesen schweren Zeiten an der Seite meines Mannes zu sein«, erklärte sie, »und meine Kinder nehme ich mit!«
Die Kinder brachen in ein Triumphgeschrei aus, und Joanna, die meinte, sich keinen Moment länger beherrschen zu können, verließ das Zimmer. Draußen ballte sie vor Wut die Fäuste. Diese gräßliche Belinda, sie wurde sie wohl in ihrem ganzen Leben nicht mehr los! Sie überlegte, ob es unter diesen Umständen überhaupt richtig war, nach Brüssel zu reisen, aber sie entschied schließlich, daß es Belinda nicht wert war, alle Pläne umzustoßen.
Und so kam es, daß sie am 1. Juni auf einem weißen Segelschiff den englischen Hafen Harwich als eine große Gesellschaft verließen: Edward und Joanna mit steinernen Gesichtern, eine strahlende Belinda neben ihnen und eine Horde quirlender, schreiender, streitender Kinder, von denen erstaunlicherweise kein einziges während der zweitägigen Reise über Bord fiel.
2
Bis zu diesem Juni des Jahres 1815 hatten sich Johns letzte lebende Verwandten, Marie und Hortense Sevigny, noch nicht damit abgefunden, eine fremde Amerikanerin in ihrem Haus dulden zu müssen. Vom ersten Moment an hatten sie Elizabeth gehaßt, und daran vermochten die Jahre nichts zu ändern. Bis zum letzten Augenblick ihres Lebens würde Elizabeth nicht die schockierten Blicke der beiden schwarzgekleideten alten Jungfern vergessen, als sie und John an einem verregneten Frühlingstag neun Jahre zuvor vor den Toren von Schloß Sevigny ankamen: naß, verdreckt, halb verhungert und völlig übermüdet. Tante Marie, die Elizabeth mit ihrer scharfen Raubvogelnase und den tiefliegenden Augen fatal an Miss Brande erinnerte, stieß einen spitzen Schrei aus, weil sie in den beiden abenteuerlichen Gestalten kaum menschliche Wesen erkannte.
Als John sie freundlich anlächelte und »Guten Tag, Tante Marie« sagte, erstarrte sie. Jetzt, nach diesen Worten, wußte sie, wer vor ihr stand, und da sie im Leben nicht damit gerechnet hatte, John noch einmal wiederzusehen, gelang es ihr einfach nicht, einen Willkommensgruß über die Lippen zu bringen. Schon gar nicht, als sie feststellen mußte, daß er auch noch eine Frau mitgebracht hatte. Weder sie noch Hortense erinnerten sich an das kleine Mädchen Elizabeth aus den wilden Gärten von Blackhill, dafür hafteten Elizabeth die sauertöpfischen Mienen der Tanten noch gut im Gedächtnis, zumal sich beide kaum verändert hatten. Nicht einmal Hortense, die doch damals erst sechzehn Jahre alt gewesen war und inzwischen schon die Vierzig überschritten hatte. Ihr Gesicht schrumpelte ein bißchen, ihre Stirn wurde höher und ihre Gestalt knochiger, doch es war unverkennbar dieselbe Hortense. Es
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