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Verbotene Wege - Link, C: Verbotene Wege

Verbotene Wege - Link, C: Verbotene Wege

Titel: Verbotene Wege - Link, C: Verbotene Wege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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und noch schöner. In den ersten Jahren mit John hatte ihr Gesicht stets einen unruhigen und gehetzten Ausdruck gehabt, in der Zeit mit Andrew eine traurige Sehnsucht, zum ersten Mal nun wurde es ruhig und sanft.
    Trotz des düsteren, kalten Schlosses mit seinen unübersichtlichen Gängen, trotz der schwarzen Gestalten, die mit fahlen Gesichtern und rotgeränderten Augen an unerwarteten Ecken auftauchten, trotz der weltabgeschiedenen Einsamkeit empfand Elizabeth in diesen Jahren ein Glücksgefühl, wie sie es nur mit wenigen Phasen ihres bisherigen Lebens verband: mit ihren ersten Kindertagen in den Wäldern Louisianas, mit Heron Hall und Hunstanton und mit den fröhlichen, leichten Saisons, die sie in London verbracht hatte.
    Schloß Sevigny bedeutete für sie eine Stätte der Ruhe, viel mehr als einst Andrew, denn diesmal waren weder Unruhe noch Schuld in ihr. Bei ihrer Ankunft an jenem Frühlingstag war sie so müde, daß sie meinte, Jahre schlafen zu müssen. John und sie hatten die vielen, vielen Meilen zwischen London und Ligny zu Fuß zurückgelegt, unterbrochen nur von kurzen Fahrten auf schaukelnden Bauernwagen, wo sie sich in einer Ecke zusammenkauern durften, und jenen entsetzlichen drei Tagen, die sie auf einem abgetakelten, knarrenden, tief und schräg im Wasser liegenden Schoner auf dem Kanal verbrachten, bei Seegang, der das brüchige Schiff zu einem manövrierunfähigen, wild tanzenden, den Elementen völlig ausgelieferten Stück Holz machte.
    Elizabeth erinnerte sich schaudernd an das winzige feuchte Verlies irgendwo tief unten im Schiffsbauch, das man ihr und John zugewiesen hatte, nachdem John dem äußerst verdächtig aussehenden Kapitän das brillantenbesetzte Armband gegeben hatte, das Elizabeth in der Nacht ihrer Flucht trug. Der Kapitän lebte wohl in der Hauptsache davon, Verbrecher oder sonstige Flüchtlinge heimlich aus dem Land zu schaffen, denn an Bord befanden sich eine ganze Anzahl zwielichtiger Gestalten, denen Elizabeth um keinen Preis der Welt allein hätte begegnen wollen.
Sie war die einzige Frau auf dieser Überfahrt. Wenn sie die Blicke sah, die ihr folgten, sobald sie sich an Deck blicken ließ, wurde ihr ganz kalt vor Angst, und sie flehte John an, sie keinen Moment lang alleine zu lassen. Immer wenn er abends nach oben ging, um etwas frische Luft zu schnappen, stand sie entsetzliche Ängste aus, denn wenn sie ihm etwas taten, dann konnte sie sich ausrechnen, was mit ihr geschehen würde. Daß weder Mannschaft noch Passagiere viel Federlesens machten, erfuhren sie in einer der stürmischsten Nächte, als nach einer längeren Auseinandersetzung, von der man unten kein Wort verstehen konnte, ein Mann von seinen Kameraden kurzerhand gefesselt, in einen Sack gesteckt und über Bord geworfen wurde. Es gab ein scheußliches Geräusch, als der Körper in die Wellen platschte. Elizabeth, die aus ihrem Kajütenfenster zugesehen hatte, klammerte sich mit schweißnassen Händen an John.
    »Um Gottes willen, John, tu doch etwas!« rief sie außer sich. John schüttelte sie ab.
    »Ich denke gar nicht daran«, entgegnete er. »Wenn wir uns da jetzt einmischen, schwimmen wir gleich hinterher. Wir verhalten uns völlig ruhig!«
    Elizabeths Entsetzen über die Tat wie auch über Johns Gleichmut verblaßte noch in derselben Nacht, denn sie wurde von der Seekrankheit ergriffen, und zwar mit solcher Heftigkeit, daß sie an nichts sonst mehr denken konnte. Die Übelkeit hielt an, bis Elizabeth festen niederländischen Boden unter die Füße bekam. So lange lag sie zusammengekrümmt auf ihrem Bett, dessen Wäsche feucht war von Schweiß, sie klapperte mit den Zähnen, bekam eine grünliche Gesichtsfarbe, weiße Lippen und braune Ringe unter den Augen.
    John hielt ihren Kopf und flößte ihr immer wieder vorsichtig etwas Wasser ein. Er strich ihr die klitschnassen Haare aus der Stirn und küßte ihren Mund, wenn sie jammernd erklärte, nicht länger leben zu wollen. Niemals vorher, nicht einmal, als sie sich ihre Kinder wegmachen ließ, hatte sie sich so sterbenselend gefühlt.
    Nachdem sie diese Fahrt überstanden hatte, schien es Elizabeth
eine Leichtigkeit, den weiten Marsch von jener verborgenen niederländischen Bucht, in der sie in einer eiskalten, schneedurchwehten Winternacht an Land gingen, bis nach Ligny zurückzulegen. Es war Februar, ein stürmischer Wind jagte über die weißlichen, rauhreifverkrusteten Wiesen dieses flachen Landes, hinter nebelverhangenen dunklen Schattenbäumen am

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