Verbotene Wege - Link, C: Verbotene Wege
Sie war die ältere Schwester von Johns verstorbener Mutter und hatte zum erstenmal in ihrem Leben ihren Landsitz im belgischen Ligny verlassen, um sich das Land anzusehen, in das ihre Schwester vor über zweiundzwanzig Jahren unbegreiflicherweise einem charmanten Engländer gefolgt war. Wie sie es erwartet hatte, fand sie die Sitten, die Sprache und die Menschen greulich.
»Marie und Hortense Sevigny sitzen in Ligny auf einem phantastischen Vermögen«, erzählte Lord Carmody. »Nur ein Teil davon, und ich könnte aus Blackhill wieder das machen, was es einmal war. Aber ehe ich die beiden um etwas bitte, verhungere ich lieber in Ehren!« Sein Blick fiel auf Elizabeth, die ihm fasziniert zuhörte.
»John soll sich aber einmal holen, was ihm zusteht«, meinte er, »das Erbe seiner Mutter. Du könntest ihn später einmal daran erinnern, Elizabeth. Vielleicht hört er auf dich.«
Elizabeth hätte ihn für diese Worte umarmen können, aber im übrigen glaubte sie kaum daran. Sie war sicher, daß nur der ganze Zusammenbruch seiner Welt John dazu bewegen könnte, Zuflucht bei Marie und ihrem Geld zu suchen.
Und Ligny ist weit, dachte sie, was will er dort schon! Aber Blackhill, hier zu leben müßte das Schönste der Welt sein!
Sie blieben mehrere Tage, für Elizabeth und Joanna ein fast unwirkliches Eintauchen in eine neue Welt. Sie liefen in staubigen Kleidern und mit ungekämmten Haaren herum, standen irgendwann morgens in der ersten Dämmerung auf und gingen schlafen, wenn die Nacht längst hereingebrochen war. Sie spielten mit dem alten Hund oder den scheuen Katzen, die überall herumliefen, kletterten auf Bäume und krochen durch dichtes Gestrüpp. Tante Marie war schockiert, aber sie sprach zuwenig Englisch, um den Kindern Vorhaltungen machen zu können, und für ihr Französisch erntete sie verständnislose Blicke. Nach fünf Tagen hatte Elizabeth das Gefühl, hier immer gelebt zu haben, und sie liebte Blackhill. Gerade als sie dachte, daß sie seinen unwiderstehlichen Zauber nie würde verlassen können, mußten sie zurück nach London reisen.
»Ich komme wieder«, sagte sie leise zum Abschied, »ganz sicher, ich komme wieder!«
Auf der Heimfahrt fragte Joanna:
»Was tut Lord Carmody eigentlich den ganzen Tag?«
Phillip lächelte bitter und wehmütig.
»Er tut das, was die Carmodys zu allen Zeiten zuviel getan haben«, sagte er, »er denkt nach. Er versucht, das Leben und das Dasein in irgendeine Philosophie zu bringen, und darüber vergißt er ganz, etwas Sinnvolles zu tun, damit er überhaupt leben kann!«
»Ist John auch so?«
»John«, sagte Phillip grimmig, »ja, in gewisser Weise ist er auch so. Aber viel stürmischer und rücksichtsloser. John wird sich eines Tages den Kopf einrennen. Er wird die Carmodys endgültig ruinieren!«
In London wurden sie bereits sehnsüchtig erwartet. Zwei Tage vor ihrer Ankunft nämlich hatte Harriet ihr Baby zur Welt gebracht, früher als erwartet. Sie lag erschöpft in einem Sessel in ihrem Salon, mit eingesunkenen Wangen und blassen Lippen, aber ein stolzes Funkeln stand in ihren Augen, als sie Phillip sah.
»Du hast einen Sohn«, sagte sie, »dem Himmel sei Dank, endlich einen Sohn!«
Dem Kind ging es wesentlich besser als seiner Mutter, es lag zufrieden und rosig in seiner Wiege und lutschte am Daumen. Alle bewunderten es ausgiebig, nur Agatha betrachtete es mit einem sorgenvollen Kopfschütteln.
»Es ist kein Segen, in diesen Zeiten geboren zu werden«, murmelte sie, »denn es wird Kriege geben, und vielleicht stirbt dieses Kind auf dem Schlachtfeld, ehe es richtig erwachsen ist!«
Phillip verbot ihr sofort, so etwas zu sagen. Er war sehr stolz auf seinen Sohn und beschloß, ihn George zu nennen, weil der König so hieß und er diesen Namen daher angemessen fand.
Elizabeth und Joanna freuten sich bereits darauf, daß George älter würde und mit ihnen spielen könnte. Weniger schön fanden sie es, daß Harriets Freundin, Lady Viola Fitheridge, die in Phillips Abwesenheit bei Harriet gewohnt hatte, ihren Auszug beharrlich verzögerte. Natürlich hatte sie auch die abscheuliche Belinda bei sich. Sie starrte die beiden Mädchen neugierig an.
»Wie seht ihr denn aus!« rief sie.
»Wieso?«
»Na, schaut doch mal in den Spiegel! Ihr seid richtig verwahrlost! «
Joanna zuckte gleichgültig mit den Schultern. Arme Belinda, sie kannte Blackhill nicht und seine Freiheit. Sie stand nur da mit ihren gewaltigen Haarschleifen und ihrer unbeirrbaren
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