Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Verbotene Wege - Link, C: Verbotene Wege

Verbotene Wege - Link, C: Verbotene Wege

Titel: Verbotene Wege - Link, C: Verbotene Wege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
Vom Netzwerk:
Der Winter verging mit zäher Langsamkeit. In Heron Hall merkten sie kaum etwas von der düsteren Stimmung, die sich in ganz England ausbreitete. Die Revolution in Frankreich wurde nun auch hier spürbar. In allen größeren Städten zitterten die Menschen täglich vor Ausschreitungen revolutionärer Kräfte. Es kam immer wieder vor, daß sich an irgendwelchen Straßenecken der Pöbel zusammenrottete und loszog, um Geschäfte zu plündern, Scheiben einzuschlagen oder arglose Bürger anzugreifen. Außerdem rechnete man täglich mit Krieg, und am ersten Februar war es dann auch soweit. Frankreich erklärte Holland und England den Krieg, und sofort wurde eine englische Flotte ausgerüstet, die gegen die Franzosen kämpfen sollte. Die Leute in Norfolk sprachen stolz davon, daß eines der Schiffe, die mit 64 Kanonen ausgestattete »Agamemnon«, von einem Kapitän befehligt werden sollte, der aus ihrer Grafschaft stammte, von Horatio Nelson, Pfarrerssohn aus Burnham Thorpe, der bereits im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg die Aufmerksamkeit der britischen Admiralität auf sich gezogen hatte.
    Von all diesen Aufregungen drang nur wenig bis nach Heron Hall. Hier verlief das Leben in seinen gewohnten Bahnen, bis im Juni des Jahres 1793 Harriet einen Entschluß faßte, der von den Kindern mit Entsetzen aufgenommen wurde. Sie sah sich überhaupt nicht mehr in der Lage, sich selber um die beiden Mädchen zu kümmern, und hielt auch die sanfte Agatha nicht länger für die geeignete Erzieherin. Voller Schrecken glaubte sie, beginnende
Verwilderung an den Kindern zu erkennen. Sie kamen zuwenig mit Bildung und Kultur in Berührung. Welch entsetzliche Vorstellung war es, sie würden deshalb vielleicht nie standesgemäß heiraten können! An einem warmen Sommertag teilte sie ihnen deshalb mit, schon vier Wochen später sollten sie in eine Schule übersiedeln, wo sie die nächsten drei Jahre in all den Dingen unterrichtet werden würden, die zu lernen für junge Mädchen wünschenswert war.
    »Was?« fragten Joanna und Elizabeth gleichzeitig, nach einem kurzen Moment des Erstarrens.
    »Kinder, tut nicht so, als wollte man euch töten«, entgegnete Harriet, »ihr solltet euch freuen. Ich habe eine sehr schöne Schule ausgewählt, die nicht einmal weit von hier liegt. Ganz nahe bei Cambridge!«
    »Woher wollen Sie wissen, daß sie schön ist?«
    »Viola hat das herausgefunden. Sie schickt übrigens Belinda auch dorthin!«
    »O nein«, stöhnte Joanna, »auch das noch! Mutter, das ist ja ein furchtbarer Plan! Wir möchten das nicht!«
    »Nun, ausnahmsweise werdet ihr tun, was ich möchte.«
    »Aber wir wollen in Heron Hall bleiben«, sagte Elizabeth, »es ist so schön hier! Warum sollen wir es verlassen?«
    »Ihr habt hier nicht die gleichen Möglichkeiten wie andere Mädchen. Beispielsweise kommt ihr nie nach London, weil die Reise für mich zu anstrengend ist. Ihr wollt doch nicht zu Bauernmädchen werden, die nur zwischen Wiesen und Meer aufwachsen! «
    »Wir könnten doch alleine nach London fahren, jedes Jahr für einige Monate, und dann bei Cynthia wohnen!«
    Harriet wurde ganz blaß bei dieser Vorstellung. Sie konnte sich genau vorstellen, wie Lord Aylesham seinen Schwägerinnen das Londoner Leben zeigen würde, und das konnte derzeit in nichts anderem als im tiefsten Sumpf der Sünde enden. Nein, um keinen Preis der Welt durfte sie die unerfahrenen, aber zweifellos neugierigen Kinder in die gefährliche Halbwelt der englischen Hauptstadt lassen.

    »Das kommt gar nicht in Frage«, erwiderte sie daher auf Elizabeths Vorschlag. »Cynthia ist jetzt jung verheiratet und wird schon allein mit genügend Schwierigkeiten zu kämpfen haben. Nein, ihr geht in die Schule, die Viola und ich ausgewählt haben. Miss Florence Brande, die Leiterin, soll eine zuverlässige, gebildete Dame sein!«
    Joanna und Elizabeth blickten einander an. Zuverlässig und gebildet! Das waren Eigenschaften, die im England dieser Tage nicht gerade ihre Blüte hatten. Es war nicht die Zeit der Pensionate, der strengen Erziehung. Nur vereinzelt konnte man dies finden. Selten hatten sich Unmoral und Laster durch so viele Kreise eines Volkes gezogen, selten aber auch wurden sie so angestrengt kultiviert und aufrechterhalten. Selbst Kinder begriffen früh diesen Geist der Zeit, in der sie lebten.
    »Mutter, wir werden dort unglücklich sein«, versuchte es Joanna noch einmal, aber Harriet, bereits wieder erschöpft, winkte ab.
    »Es ist entschieden und beschlossen

Weitere Kostenlose Bücher