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Verbotene Wege - Link, C: Verbotene Wege

Verbotene Wege - Link, C: Verbotene Wege

Titel: Verbotene Wege - Link, C: Verbotene Wege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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angewidertem Gesicht zu.
    »Maureen, das war erbärmlich, aber das weißt du wohl
selbst«, sagte sie dann. »Würdest du vielleicht noch einmal von vorn anfangen und dabei versuchen, wenigstens einen Anflug von Betonung auf die einzelnen Worte zu verwenden?«
    Maureen verkrampfte die Hände in den Falten ihres Kleides. Sie begann erneut, aber schon nach vier Zeilen winkte Miss Brande ab.
    »Verstehst du eigentlich, was du da vorträgst?« fragte sie. Maureen nickte.
    »Dann sollte das auch zum Ausdruck kommen. Vorläufig klingt es so, als bewegtest du dich in einer fremden Sprache, von der du kein Wort kennst. Bitte noch einmal.«
    Maureen befeuchtete ihre Lippen. Sie fing wieder an, aber kam auch diesmal nicht weit. Miss Brande schlug mit der flachen Hand hart auf den Tisch. Sie blickte Maureen nachdenklich an.
    »Kind«, sagte sie verhalten, »unsere Sprache ist dir aber doch geläufig?«
    »Ja, Miss Brande.«
    »Wie bitte? Ich habe nicht verstanden.«
    »Ja, Miss Brande«, wiederholte Maureen lauter. Ihre Stimme schwankte schon bedenklich. Elizabeth hätte weinen mögen vor Mitleid. Diese widerliche, gehässige Ziege! Wie grausam ihre dunklen Augen leuchteten und welch ein hämisches Lächeln ihren Mund umspielte. Ganz ohne Zweifel würde sie jetzt nicht eher ruhen, als bis Maureen in Tränen ausbrach.
    »Wenn dir die Sprache keine Schwierigkeiten bereitet«, fuhr sie fort, »dann bist du dir vielleicht nicht über die inhaltliche Aussage des Gedichts im klaren?«
    »Doch«, murmelte Maureen. Miss Brande lächelte.
    »Schön. Dann erzähle mir bitte davon.«
    Es war ausgesprochen schwierig, den Inhalt in ein paar präzisen Sätzen wiederzugeben. Es ging um den Sommer, um Stimmungen, ohne jeden tiefen Sinn, und die Reime bestanden nur aus einfachen Worten. Eine tiefschürfende Auslegung war kaum möglich.
    »Der Sommer«, begann Maureen schließlich, »der Dichter beschreibt den Sommer...«

    »Oh, wie scharfsinnig«, bemerkte Miss Brande. »Bist du darauf von ganz alleine gekommen?«
    Maureens Mund zuckte.
    »Die Stimmung gibt... gibt... Wärme wieder... und...«
    Miss Brande legte ihre Hand an ihr Ohr.
    »Ich kann wirklich nichts verstehen«, sagte sie. »Was ist mit Wärme?«
    »In dem Gedicht«, Maureen hauchte ihre Worte nur noch, »das Gedicht handelt von der Wärme... im Sommer...«
    »Wärme im Sommer?«
    Maureen schwieg. Miss Brande winkte ihr zu.
    »Komm bitte nach vorne«, befahl sie, »es ist unmöglich zu verstehen, was du an geistreichen Ausführungen von dir gibst. Nun komm schon!«
    Auf wackeligen Beinen stolperte Maureen nach vorne. Alle anderen hielten den Atem an. Fast jeder hatte dasselbe schon mehrfach selbst erlebt.
    Miss Brande neigte Maureen ihr Ohr zu.
    »Nun sage es noch einmal. Wärme im Sommer?«
    »Ja, der Dichter beschreibt die... Wärme des Sommers...«
    Miss Brande starrte das Mädchen mit offenem Mund an. »Der Dichter beschreibt die Wärme des Sommers«, wiederholte sie. »Ist es das, was du aus diesem Gedicht heraushörst?«
    Maureen biß sich auf die Lippen. Miss Brande rückte noch etwas näher an sie heran.
    »Ist es das?« und als Maureen mit letzter Kraft nickte, sagte sie langsam: »Bemerkenswert. Wirklich bemerkenswert!«
    Damit war das Ziel erreicht. Maureen begann heftig zu schluchzen und schlich weinend an ihren Platz zurück. Miss Brande kümmerte sich nicht darum. Sie ließ ihren Blick durch den Raum gleiten und rief schließlich Belinda auf, die das Gedicht noch einmal aufsagen sollte. Belinda schnellte in die Höhe. Sie stand ungeheuer gerade und aufrecht, während sie sprach, sie strahlte die Lehrerin die ganze Zeit an und tat so, als habe sie seit Wochen nur auf diesen Augenblick hingelebt. Elizabeth fand, daß sie viel schlechter als Maureen vortrug, übermäßig betonend
und gräßlich bieder, aber Miss Brande schien nicht derselben Ansicht zu sein. Sie lächelte milde.
    »Das hast du aber sehr gut gelernt, Belinda«, lobte sie, »ich habe nichts daran auszusetzen!«
    »Danke schön, Miss Brande!« Belinda, von Glückseligkeit überwältigt, sank geradezu auf ihren Stuhl zurück. Joanna warf ihr einen verachtungsvollen Blick zu, den Belinda mit selbstgefälliger Überlegenheit zurückgab. Ihr Tag war gerettet, das machte sie unanfällig gegen jede Schmähung.
    Endlich schien sich Miss Brande der Schriftstücke, die vor ihr lagen, zu entsinnen. Sie nahm sie in die Hand und stand auf.
    »Ich gebe euch jetzt eure Geschichten zurück«, sagte sie, »die meisten

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