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Verbotene Wege - Link, C: Verbotene Wege

Verbotene Wege - Link, C: Verbotene Wege

Titel: Verbotene Wege - Link, C: Verbotene Wege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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die wachsende Unsicherheit, die so typisch ist für das Alter, in dem sie gerade war.

4
    Das erste Jahr in der neuen Umgebung ging langsam vorüber, getrübt von vielen Ärgernissen, aber auch unterbrochen von erfreulichen Ereignissen. Miss Brandes Terror tobte unvermindert weiter, aber dafür verstärkte sich die Freundschaft zwischen Elizabeth und Joanna. Sie hielten bedingungslos zusammen, obwohl jede ihre eigenen Schwierigkeiten hatte. Joanna wurde täglich schnippischer, Elizabeth reagierte aggressiv auf jeden schiefen Blick, den man ihr zuwarf. Sie kämpfte ständig mit ihrer Figur,
die zu ihrem Entsetzen in diesem Winter ungehemmt auseinanderging. Alle ihre Kleider mußten weiter gemacht werden, weil sie ihren Körper sonst nicht einmal halbwegs hätte hineinzwängen können. Sie war ein ungewöhnlich mageres, feingliedriges Mädchen gewesen, aber davon konnte bald niemand mehr etwas merken. Sie hatte einen beständigen Heißhunger, und sooft sie sich auch vornahm, nicht nachzugeben, sie brachte es doch an keinem Tag fertig. Was immer man Miss Brande nachsagen konnte, niemand hätte behaupten können, daß sie ihre Schülerinnen hungern ließ. Jede bekam soviel sie nur wollte, und Elizabeth nutzte dies gegen ihren Willen bis zum äußersten aus. Nicht einmal die eigenen Tränen, wenn sie sich im Spiegel sah, konnten daran etwas ändern.
    Der Winter ging vorüber, mit ihm das Frieren beim morgendlichen Aufstehen, die frühe Dunkelheit, die behaglichen Stunden am Kamin. Im Oktober war die französische Königin Marie Antoinette ihrem Mann auf das Schafott gefolgt, die Massaker in vielen französischen Städten erreichten einen neuen Höhepunkt. Elizabeth dachte an John, der sich in Frankreich aufhielt. Sie war erleichtert, als sie im Februar einen Brief von Harriet erhielt, in dem sie berichtete, John sei nach Blackhill zurückgekehrt, um seinen überraschend verstorbenen Vater zu beerdigen.
    Der Frühling machte sich sogar in Miss Brandes Haus bemerkbar. Belinda schleppte ganze Berge von Blumen herbei, die sie der Lehrerin schenkte. Joanna regte sich darüber immer mehr auf.
    »Wie kannst du dieser Person Blumen schenken?« empörte sie sich. »Was willst du denn erreichen?«
    »Ich will nichts erreichen. Ich mag sie eben gern!«
    »Ha, das ist ja lächerlich! Du redest dir ein, sie zu mögen, weil du sie so recht gut erträgst!«
    Belinda lächelte mitleidig, dann eilte sie weiter, um Miss Brande ein dickes Büschel frischgepflückter Schneeglöckchen zu überreichen.

    Eines Tages im Sommer bekam Joanna eine heftige Grippe und mußte im Bett bleiben. Niemand durfte sie besuchen, und Elizabeth, die sich nun ganz schutzlos fühlte, wurde beinahe schwermütig. Als sie wieder einmal in der Nacht heimwehgeplagt wach im Bett lag, kam ihr plötzlich ein Gedanke, so kühn, daß sie ihn im ersten Moment sofort wieder verdrängte. Nein, nein, so etwas durfte sie nicht einmal in Erwägung ziehen, und überhaupt würde ihr der Mut zu einem so waghalsigen Unternehmen ja doch fehlen. Aber als sie am nächsten Morgen wieder vor Miss Brande saß und fünfzigmal dasselbe französische Wort sagen mußte, dessen Aussprache ihr immer schlechter gelang, und als später draußen im Gang Belinda an ihr vorüberlief, sie mitleidig anblickte und sagte: »Mein Gott, hast du dich aber heute angestellt! «, da kam ihr der Einfall der Nacht nicht mehr ganz so verrückt und unrealistisch vor. Wenn sie nun einfach wegliefe, ohne jemandem etwas zu sagen, plötzlich fort wäre - hätte sie dann nicht das einzige getan, was man in ihrer Lage tun konnte? Sich ganz und gar Miss Brandes Zugriff entziehen, vom Erdboden verschluckt und unauffindbar sein, welch köstliche, belebende Vorstellung! Der Gedanke fing an, von Elizabeth mehr und mehr Besitz zu ergreifen. Bis zum Abend schien er ihr als letzter Ausweg, der ihr noch blieb, und hielt so die bei Einbruch der Dunkelheit sonst gewohnten Tränen zurück. Sie lag im Bett und dachte nach. Joannas Grippe wurde immer schlimmer und würde sie noch mindestens zwei Wochen lang trennen, zwei Wochen, die sich hier zur höllischen Unendlichkeit ausdehnen konnten. Elizabeth konnte das nicht aushalten. Ganz gleich, was später werden würde, sie mußte erst einmal fort, ohne Gedanken an eine mögliche Rückkehr.
    Ich darf einfach nicht daran denken, daß ich vielleicht wiederkomme, befahl sie sich, und vor allem nicht daran, wie Miss Brande dann reagiert. Ich gehe fort, und alles andere wird mir

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