Verbotene Wege - Link, C: Verbotene Wege
Verstehen Sie, was dieser Sieg bedeutet? England hat die Herrschaft über das Mittelmeer, und Bonaparte ist die Eroberung des Ostens verwehrt. Mein Gott, man erzählt draußen, daß der Erste Seelord in der Admiralität ohnmächtig zu Boden sank, als er die Nachricht hörte!«
Viola stand auf.
»Wie dankbar dürfen wir sein«, sagte sie bewegt, »Admiral Nelson hat die Franzosen endlich in ihre Schranken gewiesen!«
»Mit Verlaub, Lady Fitheridge!« Ein weißhaariger Herr sprang auf, ein leidenschaftlicher Patriot auf den ersten Blick.
»Lady Fitheridge, nicht nur für Admiral Nelson ist dies ein großer Tag. Nein, es ist vor allem ein Sieg und ein Triumph für das Land, dessen treuen Diener er sich nennen darf. Ein Sieg für alle Briten, für Seine Majestät den König und für das glorreiche England!«
Von Ergriffenheit überwältigt, erhoben sich alle Anwesenden und begannen wie auf ein geheimes Zeichen hin »Rule Britannia« zu singen, wobei sich jeder Mann im Raum so heldenhaft wie ein Admiral auszusehen bemühte. Harriet, die sich den ganzen Tag kaum auf den Beinen hatte halten können, stand nun recht fest, die zarte Gestalt zu voller Größe gereckt. Joanna hatte das Gefühl, daß ihr in diesem Augenblick zum ersten Mal seit Phillips Tod wirklicher Trost zuteil wurde. Die vielen Beileidsbekundungen dieses Tages waren nichts als sinnlose, vorgeprägte Sätze für sie gewesen, jetzt erfüllte sie wieder ein Anflug von Kraft. Phillip war tot, aber England gab es noch, es bestand, wie es seit Ewigkeiten bestanden hatte und wie es das für alle Zeiten tun würde, und sie, Harriet, mußte sich nie einsam und verloren fühlen in dieser Geborgenheit, bestehend aus Zuversicht, Kraft, Patriotismus und heldenhaften Männern, die eher ihr Leben gaben, als daß auch nur ein Hauch von Englands Ehre abhanden kam. Und wenn dieser verrückte französische General Napoleon Bonaparte, der plötzlich aus dem Nichts aufgetaucht war, nach Ägypten zog, um von dort aus die britische Vorherrschaft in Indien zu bedrohen, dann konnte man ja jetzt sehen, was ihn erwartete. Für jeden Briten bedeutete eine Schlacht wie die von Abukir die erneute Bestätigung der eigenen Unverletzlichkeit.
Wie gut für Mutter, daß sie ihren Patriotismus hat, dachte Joanna, Frauen wie sie leben vom Stolz, vom Geld und vom guten Namen.
Sie beobachtete Elizabeth, die mitsang, aber dabei in den Mundwinkeln ein leises, zynisches Lächeln trug. Elizabeth ließ sich nicht leicht von der allgemeinen Rührung anstecken, nicht nur in einem Fall wie diesem, in dem sie mit englischem Nationalstolz überschwemmt wurde und diesen als Amerikanerin zweifellos nicht ohne weiteres nachvollziehen konnte. Momente
der Euphorie forderten unweigerlich ihren Spott heraus, wenn sie sich diesen auch niemals anmerken ließ. Ihre Augen schweiften durch die Halle, trafen die von Joanna und begannen spöttisch zu glitzern. Dann trat sie einen Schritt vor, hob den Kopf und sang die letzte Strophe des Liedes so laut sie nur konnte mit.
Harriet haßte die laute Buntheit Londons, und besonders jetzt, nach dem schrecklichen Verlust, der sie getroffen hatte, wäre sie am liebsten sofort nach Heron Hall gereist, um sich fern von aller Welt in das Schloß zu verkriechen und niemanden mehr zu sehen. Doch sie fühlte sich zu elend, um auch nur einen Schritt zu tun, außerdem verbot ihr Edna, sich solchen Strapazen auszusetzen. So mußte sie in der ungeliebten sittenlosen Stadt bleiben, in der mit großem Trubel der Sieg von Abukir gefeiert wurde und gleichzeitig eine Fieberepidemie durch die Häuser zog und Hunderte hinwegraffte. Harriet kam sich schwach und hilflos vor und wurde immer freudloser. Sie hatte stets gerne gejammert, und diese Neigung verstärkte sich noch. Sie wurde ausgesprochen quengelig. In den ersten beiden Wochen nach dem Begräbnis nahm jeder Rücksicht darauf. Sogar der kleine George schlich nur auf Zehenspitzen herum, die Köchin kochte alle Lieblingsgerichte ihrer Herrin, und Elizabeth und Joanna hielten sich ständig bei Harriet auf, um ihr Trost zu spenden. Insgeheim fühlten sich alle erschöpft. Harriet übte eine nervenzerrüttende Herrschaft aus, so sehr, daß hinter der Müdigkeit sogar die Trauer verblaßte. Die beiden Mädchen sehnten sich nach etwas Abwechslung, danach, einmal wenigstens über etwas anderes sprechen zu können als über den toten Phillip und aus dem düsteren Haus hinaus in die Augustsonne zu entkommen.
An einem besonders
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