Verbrannte Träume.
Um Mitternacht dachte ich, jetzt müßte ich eigentlich jeden Moment sein Auto hören. Ich war müde, schloß die Augen. Einschlafen wollte ich nicht, es passierte eben. Als die Türklingel anschlug, fuhr ich hoch.
Mir war schwindlig, meine Hände zitterten. Und das hohle Gefühl im Magen. Ich hatte nicht zu Abend gegessen und der Streit, die Aufregung. Das Klingeln machte mich verrückt, es nahm kein Ende. Im Geist sah ich den Typ in der Windjacke vor der Haustür stehen, der hatte den Finger genauso auf dem Knopf gehalten.
Einer von den Strahlern an der Wand hinter dem Fernseher brannte. Ich hatte die Jalousien nicht heruntergelassen. Das Licht mußte man draußen sehen können. Die Funkuhr auf dem Schrank zeigte zwei Uhr dreiundfünfzig und achtzehn Sekunden. Ich nahm an, Ulli wäre längst daheim. Sicher hatte er mich auf der Couch liegen sehen, war noch wütend auf mich gewesen und hatte sich ohne ein Wort ins Bett gelegt.
Das verdammte Klingeln ging mir auf die Nerven. Ich kam langsam von der Couch in die Höhe, mußte mich an der Wand festhalten. Es dauerte einen Moment, ehe der Schwindel nachließ. Ich wußte nicht, was ich tun sollte. Zur Gegensprechanlage gehen und fragen, wer an der Tür sei? Oder zuerst ins Schlafzimmer und mit Ulli reden? Er wollte bestimmt nicht, daß ich hinunterging und die Haustür öffnete. Er mußte inzwischen aufgewacht sein.
Der Gedanke, daß er wach im Bett lag und nichts unternahm, ärgerte mich wieder. Man hat so schnell ein paar gute Vorsätze über Bord geworfen. Ich stellte es mir witzig vor, wenn ich hinunterging und den abgewetzten Jüngling mit hinauf in die Wohnung brachte. Ullis Gesicht! Wenn ich ihm sagte: »Hier ist der Mann, der deine Kulis geklaut hat. Er möchte dich sprechen.«
Ich wollte einmal erleben, daß er wütend wurde. Richtig wütend. So wütend, daß er mich anbrüllte: »Hast du den Verstand verloren?« Mäuschen, Herzblatt oder Schätzchen würde er mich dabei garantiert nicht nennen.
Statt zur Gegensprechanlage an der Wohnungstür, wo Ulli mir mit einem blitzschnellen Griff aus dem Schlafzimmer in den Arm hatte fallen können, ging ich hinaus auf den Balkon.
Dann sah ich sie unten stehen, ein Streifenwagen und zwei Polizisten in Uniform. Einer schaute zu mir herauf und rief: »Würden Sie bitte öffnen!«
Ich konnte mich nicht rühren, nur hinunterstarren und zurückrufen: »Was ist denn? Was wollen Sie?«
»Sind Sie verwandt mit Ulrich Meuser?«
Ulrich Meuser! Es klang so förmlich, so amtlich, so endgültig.
Kein Mensch hatte ihn jemals Ulrich genannt. Ich nickte, bis mir einfiel, daß der Polizist es in der Dunkelheit nicht sehen konnte. Da rief ich: »Ja, ich bin seine Frau.«
»Dann öffnen Sie bitte!«
Ich wußte schon, daß etwas passiert war, als ich hinunterging. Aber da dachte ich noch, daß Ulli nur verletzt sei. Daß die Polizisten mir sagen wollten, in welches Krankenhaus man ihn gebracht hatte. Aber nein! Sie wollten mir sagen, er sei tot. Im Auto verbrannt. Wir waren seit sechzehn Tagen verheiratet. Am schlimmsten war noch, daß ich so entsetzlich fror, als sie es mir sagten.
Erzählten die mir etwas von einem durch den Aufprall geborstenen Tank. Und dann ein Funke. Im ersten Moment dachte ich, die spinnen. Ein Funke, wo soll der denn hergekommen sein? Und dann ein Feuer, bei dem Regen! Da wäre jedes Feuer ausgegangen. Ich muß das auch gesagt haben, weil einer der Polizisten mir erklärte, Ölbrände könne man nicht mit Wasser löschen und brennendes Benzin auch nicht.
Ich erinnerte mich, daß er das sagte. Da habe ich es geglaubt. Es klang logisch. Nicht angepaßte Geschwindigkeit, zu schnell in die Kurve, ins Schleudern geraten, die Kontrolle über den Wagen verloren, über die Böschung gerast, mehrfach überschlagen. Und dann ein Feuer. Da sei er wahrscheinlich schon tot gewesen, sagte der Polizist, als ob das für mich ein Trost sein könnte.
Ich konnte mich später nicht mehr daran erinnern, was sie sonst noch gesagt oder was sie mich gefragt hatten. Ich wußte auch nicht, ob und was ich ihnen geantwortet hatte. Ich wußte nicht einmal mehr, ob sie mit hinauf in die Wohnung gegangen waren. Irgendwann saß ich wieder auf der Couch und war allein. Das Zimmer war noch genauso wie vorher. Es war fünf Uhr in der Früh. Ich wollte telefonieren und wußte nicht, wen ich anrufen sollte.
Meine Eltern hatten keine Ahnung, daß ich verheiratet gewesen war. Da konnte ich ihnen doch nicht um fünf Uhr früh an einem
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