Verbrannte Träume.
mit Unterlagen über Ullis Krankenversicherung, obenauf war die Rechnung eines Zahnarztes abgeheftet. Eine saftige Rechnung über ein paar tausend Mark. Sie war anscheinend noch nicht bezahlt, es fehlte der entsprechende Vermerk. Zwei Zähne im Oberkiefer überkront, eine festsitzende Brücke eingepaßt. Ich las es, und es war wirklich eine simple Angelegenheit, ich konnte es trotzdem nicht glauben. Ulli hatte kerngesunde Zähne gehabt. Er war so stolz darauf gewesen. Als er vor zwei Jahren in die Kanzlei kam … Beim ersten Termin hatte er mich nicht erkannt, aber beim nächsten, zwei Wochen später. Er kam wieder eine Viertelstunde zu früh und mußte warten, machte es sich in der Besucherecke bequem. Aber nicht lange, da kam er zu mir an den Schreibtisch, beugte sich vor und betrachtete mein Gesicht.
»Die Nase ist hübsch geworden«, sagte er,«der Rest ist auch nicht zu verachten. Die kleine Andrea Kahneel, wer hätte das gedacht. Hast dich wirklich herausgemacht.«
Er lud mich zum Essen ein.
»Die Zähne sind doch hoffentlich nachgewachsen«, sagte er und lächelte dabei. Ich wußte nicht, ob sein Lächeln spöttisch oder verlegen war, und nickte nur.
»Das dachte ich mir«, sagte er.
»Seit damals sage ich mir jeden Tag dreimal, daß es Milchzähne gewesen sein müssen. Wie alt warst du, sechs?«
Wieder nickte ich. Ulli kam auf seine Einladung zurück.
»Du hast noch nicht angenommen. Wenn du ablehnen willst, tu dir keinen Zwang an. Ich verkrafte ein herbes Nein. Aber ich wäre sehr enttäuscht darüber.«
Ich wollte nicht ablehnen, aber ich wollte auch keinen Ärger mit meinen Eltern. Und die Vorstellung, daß er, wenn ich seine Einladung annahm, sagte:
»Dann hole ich dich um sieben daheim ab«, behagte mir nicht. Meine Mutter würde mir die Hölle heiß machen, mein Vater einen ellenlangen Vortrag halten, wenn sie ihn zu Gesicht bekämen. Es war fast, als könnte Ulli Gedanken lesen.
»Lebst du noch bei deinen Eltern?«
Ich brachte keinen vernünftigen Ton über die Lippen, konnte nur nicken. Himmel, wenn einem plötzlich der Traum gegenübersteht, der, von dem man annimmt, daß er unerreichbar ist. Wenn er einen zum Essen einläd und nicht locker läßt, bis man zugestimmt hat.
»Wir können uns in der Stadt treffen«, schlug er vor. Und als ich immer noch nicht antwortete, wurde er hartnäckiger.
»Nun gib dir einen Ruck und sag ja. Ein Essen bist du mir schuldig. Ich muß mich doch davon überzeugen dürfen, daß ich damals in meinem jugendlichen Übermut keine bleibenden Schäden angerichtet habe. Ein Mensch, der durch mein Verschulden seine Zähne verloren hat, eine grauenhafte Vorstellung. Ich könnte keine Nacht mehr ruhig schlafen bei dem Gedanken.«
Es war ihm ernst damit, auch wenn er es auf seine typische Art brachte. Er achtete sehr auf seine Gesundheit, und gesunde Zähne waren ihm das Wichtigste. Ich wußte, daß er regelmäßig zweimal im Jahr zur Kontrolle beim Zahnarzt gewesen war. Nur zur Kontrolle, es war nie etwas zu tun gewesen. Ich sah es vor mir, wenn er lachte, herzhaft lachte, mit leicht zurückgelegtem Kopf. Da stand ein Zahn wie der andere. Er hatte nicht mal eine Füllung gehabt. Zwei überkronte Zähne und eine festsitzende Brücke! Das bedeutete, ihm waren eigene Zähne gezogen worden. Das war völlig ausgeschlossen. Wer läßt sich denn freiwillig kerngesunde Zähne ziehen? Und wozu sollte das gut sein? Die Rechnung war Anfang Februar ausgestellt worden, einen Tag vor unserer Hochzeit. Lutz Assenmacher bemerkte, daß ich das Blatt Papier anstarrte. Er beugte sich ebenfalls darüber, fragte:
»Stimmt etwas nicht?«
»Doch, doch«, sagte ich rasch,«es ist alles in Ordnung. Es ist nur … nur eine Zahnarztrechnung. Sie ist noch nicht bezahlt.«
Ich sah, daß er ebenfalls etwas in der Hand hielt. Während ich im Geist Ullis Lachen vor mir gesehen hatte, hatte Lutz Assenmacher das Bündel Auszüge vom Privatkonto entdeckt. Und bevor ich es verhindern konnte, hatte er einen Blick auf den letzten Kontoauszug geworfen. Neugierig war er wirklich nicht. Er pfiff leise durch die Zähne und nickte anerkennend.
»Sie brauchen sich wegen dieser Rechnung keine Sorgen zu machen«, meinte er bedächtig.
»Sieht so aus, als könnte man mit nicht voll funktionsfähigen Kugelschreibern ein Vermögen verdienen.«
»Sie dürfen die Taschenkalender nicht vergessen«, sagte ich und nahm ihm die Kontoauszüge aus der Hand.
»Und die Kunstdrucke. Und die Dosen, das beste
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