Verbrannte Träume.
Bett gelegt, mir die Decke über den Kopf gezogen und das nächste halbe Jahr total verschlafen. Ich lief in der Wohnung umher, von einer Seite zur anderen, immer hin und her. Ich wußte nicht, was ich denken, ich wußte nicht einmal mehr, was ich von mir selbst halten sollte. Ich liebte Ulli doch, ich hatte ihn schon geliebt, da war ich gerade sechs gewesen. Ich kannte ihn so lange und so gut. Da konnte ich doch nicht plötzlich denken, daß er vielleicht ein Verbrecher gewesen war. Und Lutz Assenmacher kannte ich nicht. Da konnte ich mir doch nicht wirklich gewünscht haben, daß er mich in den Arm nahm. Ich konnte mir das nicht erklären. Ebensowenig wie die Zahnbrücke in Ullis Mund. Ich glaube fast, die Brücke regte mich mehr auf als diese komische Anspielung auf die Blechdose mit Traubenzucker. Nicht, weil ich die Rechnung bezahlen mußte, darüber dachte ich nicht nach. Es war nur die Tatsache, daß Ulli mir sogar solche Dinge verschwiegen hatte. Und wenn schon so harmlose Sachen wie zwei falsche Zähne, was sonst noch? Womit er das ganz große Geld verdiente! Geld, das ihm seine Kunden in einem Umschlag zuschickten. Selbständiger Geschäftsmann! Viel unterwegs! Und ich durfte den Anrufbeantworter nicht anfassen. Die Anrufe, die für ihn eingingen, wenn er nicht da war, hörte er aus der Ferne ab und löschte das Band sofort. Immer nur die Null auf dem Zählwerk. Und wenn ich daheim war und den Hörer abnahm, wurde aufgelegt. Warum hatte ich nicht einmal zugehört? Den Telefonhörer nicht abgenommen, nur die Lautstärke am Anrufbeantworter höher gedreht. Mir angehört, was sie von Ulli wollten, was sie bei ihm bestellten. Weil es mich nicht interessiert hatte. Weil nur eins zählte: Daß ich ihn mir geschnappt hatte, meinen Traum. Es hatte lange Zeit so ausgesehen, als wäre jeder Gedanke daran Utopie. Nachdem wir das erste Mal zusammen in einem Restaurant gewesen waren, ließ Ulli wochenlang nichts von sich hören. Dann rief er in der Kanzlei an, nur ein bißchen Tralala am Telefon. War ein netter Abend. Sollten wir bei Gelegenheit mal wiederholen. Wenn ich nicht so viel unterwegs wäre … Im ersten Jahr waren wir nur ein paarmal ausgegangen. Und jedesmal fragte ich mich, warum eigentlich? Was will er von mir? Warum führt er mich in Lokale, in denen eine Flasche Wein ein paar hundert Mark kostet? In denen neben jedem Teller drei verschiedene Gabeln und Messer liegen. Ich machte mir nichts aus Wein, eine Cola wäre mir lieber gewesen. Und ich wußte nie, mit welcher Gabel ich anfangen sollte. Ich dachte, er will mir nur zeigen, daß er der King ist, der Mann von Welt. In der Zeit bekam der Traum ein paar Kratzer. Aber dann entwickelte es sich allmählich. Es gab den ersten Kuß. Daran erinnere ich mich, als wäre es gestern gewesen. Ich fühlte mich dabei wie Erich von drüben, den Väterchen Chruschtschow in die Arme nimmt. Na, Brüderchen, sind wir doch gute Genossen. Ich dachte; Schauspieler. Und das bezog sich nicht auf Ullis Vater, es war allgemein gedacht. Man hört ja oft von Schauspielern, daß sie nur vor der Kamera leidenschaftlich sein können. Daß sie im privaten Bereich langweilig sind, ihre Ruhe haben wollen, Kamillentee zum Frühstück; sie meditieren oder machen Joga oder sonst einen Quatsch. Als er mich zum erstenmal mit in seine Wohnung nahm, dachte ich, er wollte mit mir schlafen. Fehlanzeige! Es war eine Schloßbesichtigung. Die Besucher schleichen in Filzpantoffeln über vorgeschriebene Gänge, rechts und links sind dicke Seile angebracht, dahinter stehen die Möbel. Berühren verboten! Setzen Sie sich um Gottes willen nicht auf den Stuhl. Auf dem hat Emmanuel der Fünfundzwanzigste gesessen. So ähnlich war es. Es fing an, mich zu langweilen. Ulli erklärte eine Menge. Daß er normalerweise niemanden mit in seine Wohnung nehme. Der Schrank im Wohnzimmer sei eine Maßanfertigung. Für die Couchgarnitur sei er monatelang auf der Suche gewesen. Da konnte er sie sich doch nicht von irgendwelchen Idioten mit Rotweinflecken verderben oder mit Zigarettenqualm vermiefen lassen. Ich schaute verstohlen auf meine Schuhe, vergewisserte mich, daß ich ihm nicht drei Sandkörnchen auf die teure Auslegware schleppte. Er will bewundert, dachte ich, für seinen exquisiten Geschmack gelobt werden. Er will hören, wie toll ich alles finde. Er will sehen, daß ich in Ehrfurcht erstarre. Aber das war es auch nicht. Ich dachte, er will mich auf den Arm nehmen, als er fragte, ob ich mir vorstellen
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