Verbrechen und Strafe (Schuld und Sühne)
verzeihen, daß Sie mich betrogen, indem Sie mir verheimlicht haben, daß es eine andere Gesellschaftsordnung in den Kommunen gibt. Ich habe es vor kurzem von einem großmütigen Mann erfahren, dem ich mich auch hingegeben habe und mit dem ich jetzt eine Kommune gründe. Ich spreche das offen aus, weil ich es für ehrlos halte, Sie zu betrügen. Bleiben Sie, wo Sie wollen. Hoffen Sie nicht, mich wiederzugewinnen; Sie kommen viel zu spät. Ich wünsche Ihnen Glück.‹ So soll man derartige Briefe schreiben!«
»Ist es dieselbe Terebjewa, von der Sie damals erzählten, daß sie in der dritten ›bürgerlichen‹ Ehe lebe?«
»Eigentlich erst in der zweiten! Und wenn es auch die vierte und sogar die fünfzehnte wäre, so macht das doch nichts! Wenn ich jemals bedauerte, daß meine Eltern gestorben sind, so sicher jetzt. Einigemal habe ich schon daran gedacht, wie ich sie mit einem Protest geohrfeigt haben würde, wenn sie noch am Leben wären! Ich hätte es absichtlich so eingerichtet ... Was ist so ein ›verlorener Sohn‹ dagegen, pfui Teufel! Ich hätte es ihnen schon gezeigt. Ich hätte sie in Erstaunen versetzt! Wirklich schade, daß ich niemand mehr habe!«
»Um ihn in Erstaunen zu versetzen? He-he! Nun, ganz wie Sie wünschen«, unterbrach ihn Pjotr Petrowitsch. »Sagen Sie mir aber folgendes: Sie kennen doch diese Tochter des Verstorbenen, die magere Kleine? Ist das wirklich wahr, was man von ihr erzählt, wie?«
»Was ist denn dabei? Meiner persönlichen Überzeugung nach ist es auch der normale Zustand der Frau. Warum auch nicht? Das heißt, distinguons. In der jetzigen Gesellschaft ist es natürlich nicht ganz normal, weil dieser Zustand ein erzwungener ist, aber in der zukünftigen Gesellschaft wird er freiwillig und folglich normal sein. Sie hätte auch jetzt schon das Recht dazu: sie hat gelitten, und das war ihr Fonds, sozusagen ihr Kapital, über das sie mit vollem Rechte verfügen darf. In der zukünftigen Gesellschaft werden solche Fonds natürlich nicht mehr nötig sein; doch ihre Rolle wird in einer anderen Hinsicht bestimmt und logisch und rationell bedingt sein. Was aber Ssofja Ssemjonowna persönlich betrifft, so betrachte ich für meine Person ihre gegenwärtigen Handlungen als einen energischen und personifizierten Protest gegen die Gesellschaftsordnung und habe vor ihr deswegen großen Respekt; ich freue mich sogar, wenn ich sie ansehe!«
»Man hat mir aber erzählt, daß Sie sie aus dieser Wohnung hinausgeekelt haben!«
Lebesjatnikow wurde sogar wütend.
»Das ist auch so eine Klatschgeschichte!« schrie er. »Die Sache war ganz anders! Es war gar nicht so! Katerina Iwanowna hat diese ganze Lügengeschichte erfunden, weil sie nichts verstanden hat! Und ich hatte mich an Ssofja Ssemjonowna gar nicht herangemacht! Ich hatte mich bloß bemüht, sie aufzuklären, durchaus uneigennützig, um in ihr den Protest zu wecken ... Mir war es nur um den Protest zu tun, auch konnte Ssofja Ssemjonowna sowieso nicht mehr in dieser Wohnung bleiben!«
»Sie forderten sie also auf, in eine Kommune einzutreten?«
»Sie machen immer Witze, und zwar schlechte Witze, erlauben Sie mir zu bemerken. Sie verstehen nichts! In der Kommune gibt es solche Rollen nicht. Die Kommune wird ja gerade darum gegründet, damit es solche Rollen nicht gebe. In der Kommune wird diese Rolle ihren jetzigen Charakter verändern, und was hier dumm ist, wird dort klug sein, und was unter den jetzigen Verhältnissen unnatürlich, wird dort durchaus natürlich sein. Alles hängt vom Milieu und von der Umgebung des Menschen ab. Das Milieu ist alles, der Mensch selbst ist nichts. Mit Ssofja Ssemjonowna vertrage ich mich auch jetzt gut, was Ihnen als Beweis dienen kann, daß sie mich nie für ihren Feind und Beleidiger gehalten hat. Ich überrede sie jetzt, in eine Kommune einzutreten, doch auf einer ganz anderen Grundlage! Was lachen Sie darüber? Wir wollen unsere eigene besondere Kommune gründen, doch auf viel breiterer Grundlage als die bisherigen. Wir sind in unseren Überzeugungen weiter gegangen. Wir verneinen mehr! Wenn Dobroljubow aus dem Grabe auferstünde, würde ich mit ihm schon streiten! Den Belinskij würde ich schon ganz unterkriegen! Indessen fahre ich fort, die Aufklärung Ssofja Ssemjonownas zu fördern. Sie ist eine prächtige Natur!«
»Und diese prächtige Natur nutzen Sie auch aus, wie? He-he!«
»Nein, nein! Oh, nein! Im Gegenteil!«
»Sogar im Gegenteil! He-he-he! Das ist gut!«
»Glauben Sie mir doch!
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