Verbrechen und Strafe (Schuld und Sühne)
wollüstiger Mensch!«
»Ja, der Schiller, da sieht man wieder unsern Schiller! Où va-t-elle la vertu se nicher? Wissen Sie, ich werde Ihnen mit Absicht solche Dinge erzählen, um Ihre Aufschreie zu hören. Es ist ein Genuß!«
»Das will ich meinen; bin ich mir denn jetzt auch selbst nicht lächerlich?« murmelte Raskolnikow voller Haß.
Swidrigailow lachte aus vollem Halse; schließlich rief er den Philipp, bezahlte die Zeche und machte sich zum Fortgehen bereit.
»Nun bin ich aber tüchtig betrunken, assez causé!« sagte er. »Es ist ein Genuß!«
»Wie sollten Sie auch keinen Genuß empfinden!« rief Raskolnikow, sich gleichfalls erhebend. »Ist es denn für einen solchen geriebenen Wollüstling kein Genuß, von solchen Abenteuern zu erzählen – wenn er dabei auch noch irgendeine ungeheuerliche Absicht in derselben Art hat, und obendrein unter solchen Umständen und solch einem Menschen, wie ich es bin ... Das bringt doch das Blut in Wallung!«
»Wenn Sie so reden«, antwortete Swidrigailow mit einigem Erstaunen, Raskolnikow musternd – »wenn Sie so reden, so sind Sie auch selbst ein ordentlicher Zyniker. Jedenfalls steckt in Ihnen ein ungeheures Material dazu. Sie können wohl vieles begreifen ... können aber auch vieles tun. Aber genug. Ich bedaure es aufrichtig, daß unsere Unterhaltung so kurz war, Sie entgehen mir aber nicht ... warten Sie nur ...«
Swidrigailow verließ das Wirtshaus. Raskolnikow folgte ihm. Swidrigailow war aber gar nicht so berauscht; der Wein war ihm bloß für einen Augenblick zu Kopfe gestiegen, der Rausch verflüchtete sich von Augenblick zu Augenblick. Er war um etwas besorgt, wohl um etwas sehr Wichtiges, und runzelte die Stirn. Irgendeine Erwartung regte ihn anscheinend auf und beunruhigte ihn. In seinem Benehmen gegen Raskolnikow war er in den letzten Minuten plötzlich ganz anders geworden und wurde von Augenblick zu Augenblick gröber und spöttischer. Raskolnikow merkte sich das alles und wurde auch unruhig. Swidrigailow kam ihm sehr verdächtig vor; er entschloß sich, ihm zu folgen.
Sie traten auf das Trottoir.
»Sie gehen nach rechts und ich nach links. Oder vielleicht auch umgekehrt. Aber, adieu mon plaisir, auf freudiges Wiedersehen!«
Und er ging nach rechts, in der Richtung zum Heumarkt.
V
Raskolnikow ging ihm nach.
»Was soll das bedeuten?!« rief Swidrigailow, sich umwendend. »Ich hab Ihnen doch, glaube ich, gesagt ...«
»Das bedeutet, daß ich Sie jetzt nicht mehr loslasse.«
»Wa-as?«
Beide blieben stehen und sahen einander eine Minute lang an, als wollten sie sich messen.
»Aus allen Ihren halbbetrunkenen Erzählungen«, sagte Raskolnikow schroff, »habe ich positiv erfahren, daß Sie Ihre gemeinen Absichten gegen meine Schwester nicht nur nicht aufgegeben haben, sondern mit ihnen mehr als je beschäftigt sind. Mir ist es bekannt, daß meine Schwester heute früh irgendeinen Brief bekommen hat. Sie konnten die ganze Zeit nicht ruhig sitzen ... allerdings konnten Sie unterwegs irgendeine Braut aufgegabelt haben, aber das hat nichts zu sagen. Ich möchte mich persönlich überzeugen ...«
Raskolnikow hätte wohl kaum angeben können, was er jetzt vorhatte und wovon er sich persönlich überzeugen wollte.
»So! Wollen Sie, daß ich sofort die Polizei rufe?«
»Ruf nur!«
Sie standen wieder eine Minute einander gegenüber. Swidrigailows Gesicht veränderte sich plötzlich. Als er sich überzeugt hatte, daß Raskolnikow vor seiner Drohung nicht erschrak, nahm er plötzlich eine sehr heitere und freundschaftliche Miene an.
»Was sind Sie für ein Mensch! Ich hatte absichtlich mit Ihnen kein Wort von Ihrer Sache gesprochen, obwohl mich selbstverständlich die Neugierde plagt. Es ist ja eine ganz phantastische Sache. Ich hatte es auf ein anderes Mal verschoben, aber Sie können auch einen Toten reizen ... Gut, kommen Sie mit, ich sage Ihnen aber im voraus: Ich gehe jetzt bloß auf einen Sprung nach Hause, um Geld zu holen; dann sperre ich meine Wohnung ab, miete mir eine Droschke und fahre für den ganzen Abend auf die Inseln hinaus. Sie werden doch nicht mitkommen.«
»Ich aber gehe in die Wohnung mit, doch nicht zu Ihnen, sondern zu Ssofja Ssemjonowna, um mich zu entschuldigen, daß ich nicht bei der Beerdigung war.«
»Wie Sie wünschen, Ssofja Ssemjonowna ist jetzt aber nicht zu Hause. Sie ist mit allen Kindern zu einer Dame gegangen, zu einer vornehmen alten Dame, einer früheren alten Bekannten von mir, die Vorsteherin von
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