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Verbrechen und Strafe (Schuld und Sühne)

Titel: Verbrechen und Strafe (Schuld und Sühne) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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...«
    Swidrigailow saß schon im Wagen. Raskolnikow sagte sich, daß sein Verdacht wenigstens in diesem Augenblick unbegründet sei. Ohne ein Wort zu antworten, drehte er sich um und ging zurück in der Richtung zum Heumarkt. Hätte er sich unterwegs auch nur einmal umgewandt, so würde er gesehen haben, daß Swidrigailow, nachdem er kaum mehr als hundert Schritte gefahren war, den Kutscher bezahlte und wieder aufs Trottoir trat. Er konnte aber nichts mehr sehen und war um die Ecke gebogen. Ein tiefer Ekel trieb ihn von Swidrigailow fort. »Wie konnte ich nur, auch nur einen Augenblick, etwas von diesem rohen Bösewicht, von diesem Wollüstling und Schurken erwarten!« rief er unwillkürlich aus. Raskolnikow hatte dieses Urteil allerdings allzu voreilig und leichtsinnig gefällt. Im ganzen Gebaren Swidrigailows lag etwas, was ihm wenigstens eine gewisse Originalität, wenn nicht etwas Geheimnisvolles verlieh. Was aber seine Schwester betraf, so war Raskolnikow dennoch fest überzeugt, daß Swidrigailow sie nicht in Ruhe lassen würde. Aber es war ihm schon allzu schwer und unerträglich, an all das zu denken!
    Seiner Gewohnheit gemäß war er schon nach den ersten zwanzig Schritten, als er allein geblieben war, in tiefe Nachdenklichkeit versunken. Er ging auf die Brücke, blieb am Geländer stehen und begann in das Wasser zu starren. Indessen stand hinter ihm Awdotja Romanowna.
    Er war ihr am Anfange der Brücke begegnet, war aber an ihr vorbeigegangen, ohne sie bemerkt zu haben. Dunjetschka hatte ihn noch nie in dieser Verfassung auf der Straße gesehen und war beinahe erschrocken. Sie blieb stehen und wußte nicht, ob sie ihn anrufen solle oder nicht? Plötzlich sah sie Swidrigailow, der sich schnell vom Heumarkt her näherte.
    Jener schien aber geheimnisvoll und vorsichtig näher zu kommen. Er ging nicht auf die Brücke, sondern blieb abseits auf dem Trottoir stehen, wobei er sich die größte Mühe gab, von Raskolnikow nicht gesehen zu werden. Dunja hatte er schon längst bemerkt und machte ihr Zeichen. Ihr schien es, daß er sie mit seinen Zeichen bat, den Bruder nicht anzurufen und in Ruhe zu lassen, und sie zu sich heranwinkte.
    Dunja tat auch so. Sie ging leise um den Bruder herum und näherte sich Swidrigailow.
    »Gehen wir schneller«, flüsterte ihr Swidrigailow zu. »Ich möchte nicht, daß Rodion Romanowitsch von unserer Zusammenkunft erfährt. Ich sage Ihnen gleich, daß ich soeben mit ihm hier in der Nähe in einer Wirtschaft gesessen habe, wo er mich selbst aufgesucht hatte, und ich wurde ihn nur mit Mühe los. Er weiß irgendwie von meinem Briefe an Sie und hat einen Verdacht. Sie haben es ihm natürlich nicht erzählt? Und wenn Sie es nicht waren, wer dann?«
    »Nun sind wir schon um die Ecke gekommen,« unterbrach ihn Dunja, »mein Bruder wird uns nicht mehr sehen. Ich erkläre Ihnen, daß ich mit Ihnen nicht weiter gehen will. Sagen Sie mir alles hier; Sie können ja alles auf der Straße sagen.«
    »Erstens kann man das alles unmöglich auf der Straße sagen; zweitens müssen Sie auch Ssofja Ssemjonowna anhören; drittens werde ich Ihnen einige Dokumente zeigen ... Und schließlich, wenn Sie sich weigern, zu mir zu kommen, verzichte ich auf alle Erklärungen und gehe sofort weg. Dabei bitte ich Sie nicht zu vergessen, daß ein außerordentlich interessantes Geheimnis Ihres geliebten Bruders sich vollkommen in meinen Händen befindet.«
    Dunja blieb unentschlossen stehen und blickte Swidrigailow durchdringend an.
    »Was fürchten Sie?« versetzte er ruhig. »Die Stadt ist doch kein Dorf. Und im Dorfe haben Sie mir mehr Schaden zugefügt als ich Ihnen; hier aber ...«
    »Ist Ssofja Ssemjonowna vorbereitet?«
    »Nein, ich habe ihr kein Wort gesagt und bin auch nicht ganz sicher, ob sie zu Hause ist. Übrigens ist sie wahrscheinlich zu Hause. Sie hat heute ihre Verwandte beerdigt – das ist kein Tag, um Besuche zu machen. Vorläufig will ich mit niemand davon reden und bereue sogar teilweise, daß ich es Ihnen mitgeteilt habe. Die geringste Unvorsichtigkeit kommt in diesem Falle einer Denunziation gleich. Ich wohne hier in diesem Hause, nun sind wir gleich da. Das ist der Hausknecht von meinem Hause; der Hausknecht kennt mich sehr gut; da grüßt er mich; er sieht, daß ich mit einer Dame gehe, und hat sich schon natürlich ihr Gesicht gemerkt; daß kann Ihnen aber von Nutzen sein, wenn Sie sich sehr fürchten und mir nicht trauen. Entschuldigen Sie, daß ich so offen spreche. Ich selbst wohne in

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