Verbrechen und Strafe (Schuld und Sühne)
das Lügen ist sogar sympathisch, denn es führt zur Wahrheit. Nein, ärgerlich ist, daß sie lügen und ihr eigenes Lügen vergöttern. Ich achte den Porfirij, aber ... Was hat sie zum Beispiel gleich am Anfang so konfus gemacht? Die Tür war verschlossen, als sie aber mit dem Hausknecht kamen, war sie offen; daraus folgt, daß Koch und Pestrjakow den Mord begangen haben. Das ist ihre ganze Logik.«
»Ereifere dich nicht so; man hat sie einfach festgenommen; es geht doch nicht anders ... Übrigens bin ich mit diesem Koch schon mal zusammengekommen; wie es sich herausstellte, pflegte er von der Alten die verfallenen Pfänder zu kaufen! Wie gefällt dir das?«
»Ja, er scheint ein Gauner zu sein! Er kauft auch Wechsel auf. So ein Industrieritter. Hol ihn der Teufel! Weißt du, worüber ich mich ärgere? Über ihre alte, banale, verschimmelte Routine ... Und doch kann man an diesem einen Fall einen ganz neuen Weg entdecken. Man kann auf Grund der psychologischen Daten allein zeigen, wie man die richtige Spur finden kann. ›Wir haben Tatsachen!‹ sagen sie. Die Tatsachen sind aber noch nicht alles; mindestens die Hälfte der Sache besteht darin, wie man mit diesen Tatsachen umzugehen versteht!«
»Nun, und verstehst du mit Tatsachen umzugehen?«
»Ja, man kann doch nicht schweigen, wenn man fühlt, ganz deutlich fühlt, daß man helfen könnte, wenn ... Ach, ja! Kennst du die Sache mit allen Einzelheiten?«
»Ich warte immer, daß du mir vom Anstreicher erzählst.«
»Ja, richtig. Hör also die Geschichte. Genau am dritten Tag nach dem Morde, am Morgen, als sie sich dort mit dem Koch und Pestrjakow abgaben – obwohl diese jeden ihrer Schritte nachgewiesen hatten, die Augenscheinlichkeit schreit zum Himmel! – erfährt man plötzlich eine ganz unerwartete Tatsache. Ein gewisser Bauer Duschkin, Besitzer einer Schenke im Hause gegenüber, kommt ins Polizeibureau, bringt ein Etui mit goldenen Ohrringen und erzählt einen ganzen Roman: ›Da kam zu mir gestern abend, so bald nach acht Uhr‹ – er gibt also Tag und Stunde an! merk sie dir! – ›ein Anstreicher, der auch schon früher untertags bei mir eingekehrt war, namens Mikolai und brachte mir diese Schachtel mit den goldenen Ohrringen und Steinen und bat mich, ihm zwei Rubel darauf zu leihen; und auf meine Frage, wo er es hergenommen hatte, erklärte er, er hätte es auf dem Trottoir gefunden. Mehr habe ich ihn darüber nicht ausgefragt‹ – das sagt dieser Duschkin! – ›ich gab ihm eine Banknote‹ – das heißt einen Rubel – ›denn ich sagte mir, wenn ich's nicht nehme, so versetzt er es bei wem anders, jedenfalls vertrinkt er es; soll die Sache besser bei mir liegen: je weiter man ein Ding versteckt, um so leichter kriegt man's wieder; wenn aber was geschieht oder Gerüchte aufkommen, so bring ich's zur Polizei.‹ Das war natürlich nur so ein Großmuttermärchen, er lügt wie ein Pferd; diesen Duschkin kenne ich ja: er ist selbst Pfandleiher und Hehler und hat diesen Gegenstand, der seine dreißig Rubel wert ist, dem Mikolai nicht dazu abgeschwindelt, um ihn an die Polizei abzuliefern. Er hat einfach Angst bekommen. Hol ihn der Teufel, hör weiter. Dieser Duschkin fährt also fort: ›Jenen Bauer Mikolai Dementjew kenne ich aber von Kind auf, er stammt aus dem gleichen Gouvernement und aus dem gleichen Saraisker Kreise, denn wir sind beide aus dem Rjasanschen. Mikolai ist zwar kein Säufer, trinkt aber ab und zu, und es war mir bekannt, daß er in diesem selben Hause mit dem Mitrej Anstreicherarbeiten machte, und Mitrej ist aus der gleichen Gegend wie er. Und als er die Banknote bekam, ließ er sie sich sofort wechseln, trank auf einmal zwei Gläschen, nahm den Rest und ging; den Mitrej habe ich aber damals mit ihm nicht gesehen. Und am nächsten Tage hörte ich, daß man die Aljona Iwanowna und ihre Schwester Lisaweta Iwanowna mit einer Axt erschlagen hat; ich habe sie gekannt, und da kamen mir Zweifel wegen der Ohrringe, denn es war mir bekannt, daß die Selige Geld gegen Pfänder auslieh. Ich ging zu ihnen ins Haus und fing an, vorsichtig auszuforschen; vor allen Dingen fragte ich, ob Mikolai da sei. Mitrej sagte mir, daß Mikolai zu bummeln angefangen habe; er sei bei Tagesanbruch betrunken heimgekommen, an die zehn Minuten zu Hause geblieben und dann wieder fortgegangen; Mitrej hätte ihn nicht mehr gesehen und die Arbeit allein fertiggemacht. Sie arbeiteten aber im ersten Stock an der gleichen Treppe, an der die Ermordeten wohnten.
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