Verdacht auf Mord
würde sie es schaffen.
Sie sah auf die Uhr. Trissan war jetzt bereits sechzehn Minuten verspätet. Noch genau drei Minuten wollte sie ihr zugestehen. Dann reichte es.
Während der langen Diskussion darüber, wo sie sich treffen sollten, war nämlich nicht gesagt worden, dass es im Prinzip keine Rolle spielte, was Emmy wünschte. Es wurde ja doch immer getan, was Trissan wollte. Und bei solchen Kleinigkeiten zeigte es sich, was wirklich Sache war, dachte Emmy.
Ein Glück, dass sie nicht mehr zusammen wohnten. Die Erleichterung war größer, als sie geahnt hatte, obwohl sie jetzt recht weit außerhalb im Westen im Örnvägen in einer trostlosen Zweizimmerwohnung aus den Sechzigerjahren wohnte, deren Wände so dünn waren, dass sie erzitterten, wenn die Haustür zufiel.
Aber sie konnte die Tür hinter sich zumachen. Und das war erholsam. Besonders jetzt, nach dieser üblen Sache mit Cecilia. Es war furchtbar, das zugeben zu müssen, aber sie hatte keine Zeit. Wirklich nicht. Ihre Tage waren so schon zu voll. Irgendwie machte sie die Tatsache, dass sie den Sekunden hinterherhetzte, auch wichtig. In ihrer Welt gab es kein gedrosseltes Tempo, sondern immer nur Vollgas.
Mit einem Mal türmten sich ihre Vorhaben wie eine Mauer um sie herum auf. Aber auch wie eine Leiter, auf der sie an die Spitze klettern wollte.
Bei ihrer Unterhaltung mit Trissan hatte sie ein paar Sätze darüber gesagt. Das hätte sie natürlich nicht tun sollen. Als Psychologiestudentin hatte sich Trissan daraufhin natürlich darüber ausgelassen, dass das Leben mehr zu bieten habe. Nicht nur Stress und Karriere. Schließlich sei es doch wohl kaum erstrebenswert, sein Leben mit Angstzuständen, Depressionen und Phobien zuzubringen, hatte Trissan in einem Tonfall gesagt, als redete sie mit einer Fünfjährigen. Trissan hat keinen Grund, sich über die Zukunft Sorgen zu machen, dachte Emmy. So schlecht, wie es vielen Leuten zu gehen schien, würde sie auf jeden Fall eine Arbeit finden. Sie selbst würde sich die erstrebenswerten Seiten des Lebens für später aufheben. Wenn sie am Ziel war.
Der Morgennebel hatte sich gehoben, es hatte aufgeklart, und alles war trocken. Nachher würde sie in die Bibliothek radeln und büffeln. Oder sollte sie stattdessen mit dem Fahrrad zum Eden auf dem alten Klinikgelände an der Paradisgatan fahren? Ihr gefielen die großen, hellen Lesesäle in dem etwas moderneren Gebäude. Ihr gefiel es auch, dass sich hier die Studenten mischten. Wirtschaftler, Juristen, Mediziner und ein paar Geisteswissenschaftler bunt durcheinander. Zweifellos galt das Eden deswegen als der beste Platz der Stadt, um jemanden kennenzulernen. Deswegen hatte sie heute Morgen auch einen zusätzlichen Blick in den Spiegel geworfen, bevor sie von zu Hause aufgebrochen war.
Sie wusste allerdings auch, dass Karl im Augenblick nur noch selten dort saß. Er hatte gerade angefangen zu arbeiten.
Kriminalkommissar Claes Claesson verstand sich selbst nicht mehr. Er war an diesem klaren Septembertag unterwegs, um eine Trauerbotschaft zu überbringen. Er musste außerdem eine Frau bitten, eine Leiche zu identifizieren, die sich in keinem sonderlich guten Zustand befand, um entscheiden zu können, ob es sich überhaupt um ihren Mann handelte.
Am Vortag war die Leiche in Lund gefunden worden, und im Sydsvenska Dagbladet hatte bereits eine kurze Nachricht über den nicht identifizierten Mann gestanden, dessen Leiche an einem ungewöhnlichen Ort aufgefunden worden war. In einem Putzmittelraum im Krankenhaus. Der Bericht war aber nur in Lund erschienen, bis nach Småland hatte sich die Nachricht nicht verbreitet. Erst nach etlichen Stunden waren die Ermittler in Lund draufgekommen, dass es sich um den Mann mittleren Alters aus Oskarshamn handeln könnte, der eine Woche zuvor vermisst gemeldet worden war.
Es war viele Jahre her, dass er sich mit solchen Dingen hatte befassen müssen. Deswegen war die Aufgabe aber nicht weniger unerfreulich. Aber er war voll und ganz selber schuld: Er hatte sich selbst erboten hinzufahren. Was wohl auch sinnvoll war, nicht zuletzt wegen des Gefühls, etwas Handgreifliches zu verrichten. Und möglicherweise, um Louise Jasinski milder zu stimmen.
Sie war immer noch recht unfreundlich. Sie ließ sich zwar herab, ihm während der drei Minuten, die sie ihm gnädig zugestand, in die Augen zu sehen, aber irgendwie schien es ihr zu widerstreben. Er hatte das seltsame und wenig angenehme Gefühl, wie ein kleiner Junge mit der Mütze
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