Verdacht auf Mord
nur dazusitzen und faul zu sein.
Ich gebe ihr noch fünf Minuten, dachte sie.
Sie hatte bereits ein Seminar hinter sich, das um acht Uhr begonnen hatte. Genauer gesagt, um Viertel nach acht. Die juristische Fakultät erlaubte sich immer noch die akademische Viertelstunde, wie Emmy bereits bei der Einführungsvorlesung gelernt hatte. Diese Gepflogenheit stammte noch aus einer Zeit, in der die Studenten keine Uhren besessen hatten. Sie hatten eine Viertelstunde Zeit, um in den Vorlesungssaal zu kommen, nachdem die Domuhr die Stunde geschlagen hatte.
Sie war also früh aufgestanden. Das Thema des Seminars war im Hinblick auf die Zukunft wichtig gewesen. Vertragsrecht in der Wirtschaft. Das Seminar war sehr anspruchsvoll, und man musste sehr viel büffeln, um eine gute Note zu bekommen. Also war sie am Vorabend spät zu Bett gegangen. Erst um drei hatte sie ihre Bücher zugeschlagen, nachdem sie den Wecker gestellt hatte, auch den in ihrem Handy, um nur ja rechtzeitig aus den Federn zu kommen. Das Einzige, was sie nicht getan hatte, war, ihre Mutter anzurufen und sie zu bitten, sie zu wecken, ehe sie zu ihrer Arbeit bei Ikea ging. Sie tat das gelegentlich, am Vorabend war ihr diese Idee jedoch erst nach Mitternacht gekommen.
Jetzt merkte sie, dass sie ganz schwach vor Müdigkeit war. Ihre Gedanken irrten herum, und sie ärgerte sich immer mehr darüber, dass Trissan sie warten ließ. Aber das war typisch. Sie kam immer zu spät. Das war die reine Schikane.
Es war erniedrigend, diejenige zu sein, die warten musste, während der Kaffee langsam kalt und immer weniger wurde.
Sollte sie noch einen bestellen?
Es herrschte ein Ungleichgewicht. Immer die, die das Sagen hatten, kamen zuletzt. Trissan trödelte, und Emmy wartete geduldig. Wie ein treuer Hund. Der Gedanke allein hätte Emmy fast dazu gebracht, aufzustehen und zu gehen.
Aber sie blieb sitzen. Wo sie schon einmal hier war, konnte sie das Ganze genauso gut hinter sich bringen. Den Kontakt wieder aufnehmen, egal, was dann passierte.
Sonst hätte sie sowieso nur gebüffelt.
Sie trommelte mit den Fingerspitzen auf die Tischplatte.
Ihr Handy lag auf dem Tisch. Sie nahm es zur Hand, legte es dann aber wieder hin.
Das Hin und Her, bis sie sich schließlich auf Omas Café geeinigt hatten, ging ihr durch den Kopf. Erst hatten sie sich im Lundagård hinter dem Universitätshauptgebäude treffen wollen. Das war die berühmteste Konditorei der Stadt mit erlesenem Gebäck und exquisiten Pralinen, aber da Trissan in die Bytaregatan gezogen war und Omas Café praktisch vor der Haustür hatte, war ihr dieses lieber gewesen. Vor allen Dingen, da dort nicht geraucht werden durfte. Nicht so wie im Gräddhyllan, wo sie sonst immer hingingen, das altmodischer war. Trissan hatte gerade aufgehört zu rauchen.
Emmy starrte zum Gräddhyllan in einem niedrigen gelben Haus hinüber. Eine Mitstudentin trat dort gerade ein. Sie fühlte sich noch einsamer. Die dicke Mutter mit dem Kleinkind saß am Nachbartisch. Emmy betrachtete sie erneut voller Widerwillen, aufgequollen, bleich, billige Kleider, das Kind, das herumsaute. Ihr wurde fast übel. Die Mutter schien in ihrem Alter zu sein. Es schauderte sie. Kleinkinder kamen in ihrer Planung nicht vor. Höchstens sehr viel später. Wenn sie fertig war. Und der Märchenprinz aufgetaucht war. Ihre Kinder stellte sie sich auch ganz süß vor.
Sie genoss ihre Zukunftspläne. Hielt eisern an ihrem Ziel fest. Der Weg dorthin war zwar sehr stressig, gab ihrem Leben aber auch einen Sinn. Nach den Sommerferien würde das Tempo nur noch zunehmen. Ihr Studium näherte sich unerbittlich seinem Ende, und sie geriet in Panik, wenn sie an das Leben danach dachte. Die Angst vor der Zukunft hatte von ihr Besitz ergriffen. Sie schlief schlecht und hatte bereits vier Kilo abgenommen. Und vorher war sie auch nicht gerade dick gewesen. Ihre Vernunft sagte ihr, dass sie aufpassen musste. Gleichzeitig genoss sie es, ein Bein über das andere schlagen und den Fuß um die Wade legen zu können.
Ihr Plan war, sich als Wirtschaftsanwältin zu profilieren. Im Augenblick ärgerte es sie ungemein, dass sie Trissan gegenüber so nachgiebig war, was sich so überhaupt nicht mit ihrer Vorstellung von ihrem zukünftigen Ich in Einklang bringen ließ. Sie wollte zielstrebig und geradlinig sein. Sie vermied den Ausdruck »glatt«, das klang zu geschäftsmäßig und kalt, aber ihr erträumtes Selbstbild war nicht weit davon entfernt. Vielleicht eher gewitzt. Irgendwie
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