Verdammnis
… reden wir von demselben Mädchen?«, fragte Bublanski. »Die Lisbeth Salander, nach der wir fahnden, hat nicht einmal einen Hauptschulabschluss und ist unter Vormundschaft gestellt worden.«
»Das heißt nicht mehr Vormundschaft«, korrigierte Armanskij sanft.
»Spielt doch keine Rolle, wie das heißt. Das Mädchen, das wir suchen, wird in ihrer Akte als extrem gestört und gewaltbereit geschildert. Außerdem liegt uns ein Bericht des Sozialamts vor, nach dem sie sich Ende der 90er-Jahre auch prostituiert hat. In ihren Papieren gibt es keinen Hinweis darauf, dass sie eine qualifizierte Arbeit ausüben könnte.«
»Papier ist eine Sache. Menschen eine andere.«
»Sie meinen also, sie war qualifiziert genug, um Recherchen für Milton Security durchzuführen?«
»Und nicht nur das. Sie ist mit Abstand die beste Researcherin, die mir jemals begegnet ist.«
Langsam ließ Bublanski seinen Stift sinken und runzelte die Stirn.
»Das hört sich fast so an, als hätten Sie … Respekt vor ihr.«
Armanskij blickte auf seine Hände. Er hatte immer gewusst, dass Lisbeth Salander eines Tages ganz böse in die Klemme geraten würde. Er konnte beim besten Willen nicht begreifen, warum sie in den Doppelmord in Enskede verwickelt sein sollte - ob nun als Täterin oder anderweitig -, aber er musste auch zugeben, dass er eigentlich nicht besonders viel über ihr Privatleben wusste. Wo ist sie da reingezogen worden? Armanskij erinnerte sich an ihren überraschenden Besuch in seinem Büro und ihre rätselhafte Versicherung, sie habe genug Geld, um zurechtzukommen, und brauche daher keinen Job.
In diesem Augenblick wäre es sicher das Klügste gewesen, sich selbst und vor allem Milton Security völlig von Lisbeth Salander zu distanzieren. Armanskij dachte bei sich, dass Lisbeth wohl der einsamste Mensch auf der ganzen Welt war.
»Ich habe Respekt vor ihrer Kompetenz. Davon steht nichts in ihren Zeugnissen und ihrem Lebenslauf.«
»Sie kennen also ihren Hintergrund?«
»Dass sie einen rechtlichen Betreuer hat und als Jugendliche schwere Zeiten hatte, ja.«
»Und Sie haben sie trotzdem beschäftigt?«
»Gerade deswegen habe ich sie beschäftigt.«
»Könnten Sie das bitte erläutern?«
»Ihr ehemaliger Betreuer, Holger Palmgren, war früher der Anwalt von J. F. Milton. Er hat sich ihrer angenommen, als sie noch ein Teenager war, und er hat mich überredet, ihr einen Job zu geben. Ich habe sie also zuerst zum Postsortieren und Kopieren eingestellt. Dann stellte sich aber heraus, dass sie ungeahnte Talente besaß. Und diesen Bericht, dem zufolge sie eventuell eine Prostituierte gewesen sein soll, können sie schlicht und einfach vergessen. Lisbeth Salander hatte als Teenager eine schwierige Phase und war zweifellos ein wenig außer Rand und Band geraten - aber Prostitution ist das Letzte, was ihr einfallen würde.«
»Ihr neuer Betreuer heißt Nils Bjurman.«
»Den habe ich nie kennengelernt. Palmgren hat vor ein paar Jahren einen Schlaganfall erlitten. Danach hat Lisbeth Salander immer weniger für mich gearbeitet. Im Oktober vor anderthalb Jahren hat sie zum letzten Mal einen Job für mich übernommen.«
»Warum haben Sie sie nicht weiter beschäftigt?«
»Das war nicht meine Entscheidung. Sie hat die Verbindung abgebrochen und verschwand ohne ein Wort ins Ausland.«
»Verschwand ins Ausland?«
»Sie war ein knappes Jahr weg.«
»Das kann nicht ganz stimmen. Bjurman hat das ganze letzte Jahr über monatliche Berichte über sie geschickt. Wir haben Kopien davon in Kungsholmen.«
Armanskij zuckte die Achseln und lächelte sanft.
»Wann sind Sie ihr das letzte Mal begegnet?«
»Vor ungefähr zwei Monaten, Anfang Februar. Sie tauchte wie aus dem Nichts auf und machte einen Anstandsbesuch bei mir. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich seit über einem Jahr nichts mehr von ihr gehört. Sie war das ganze letzte Jahr im Ausland und ist durch Asien und die Karibik gereist.«
»Entschuldigen Sie, aber ich bin ein bisschen verwirrt. Ich kam hierher in der Meinung, dass Lisbeth Salander ein psychisch krankes Mädchen ist, das nicht mal die Hauptschule abgeschlossen und einen rechtlichen Betreuer hat. Dann erzählen Sie mir, sie als hoch qualifizierte Researcherin beschäftigt zu haben, dass sie ein eigenes Unternehmen hat und genügend Geld verdient, um ein Jahr lang durch die Welt zu reisen - und all das, ohne dass ihr Betreuer Alarm schlägt. Da stimmt doch irgendwas nicht.«
»Wenn es um Lisbeth Salander geht, stimmt vieles
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