Verdammnis
kennst du sie also ziemlich gut.«
»So gut, wie ein Mensch Lisbeth Salander eben kennen kann, würde ich sagen«, erwiderte Mikael. »Sie ist wahrscheinlich der verschlossenste Mensch, der mir jemals begegnet ist.«
Plötzlich stand Mikael auf und sah aus dem Fenster in die Dunkelheit hinaus.
»Ich weiß nicht, wie du dazu stehst, aber ich werde mir jetzt einen Wodka Lime machen«, verkündete er.
Malin lächelte.
»Gern. Ist mir auch lieber als noch mehr Kaffee.«
Das ganze Osterwochenende über dachte Dragan Armanskij in seinem Häuschen auf Blidö über Lisbeth Salander nach. Seine Kinder waren schon erwachsen und hatten sich entschieden, Ostern nicht mit ihren Eltern zu verbringen. Seine Frau Ritva, mit der er seit fünfundzwanzig Jahren verheiratet war, konnte unschwer erkennen, dass er in Gedanken immer wieder ganz woanders war. Er versank in schweigenden Grübeleien und gab nur zerstreute Antworten, wenn sie ihn ansprach. Jeden Tag fuhr er mit dem Auto zum Laden und besorgte sich die Tageszeitungen. Dann setzte er sich ans Verandafenster und las die Artikel über die Jagd auf Lisbeth Salander.
Dragan Armanskij war von sich selbst enttäuscht. Er war enttäuscht, dass er Lisbeth Salander so völlig falsch eingeschätzt hatte. Dass sie psychische Probleme hatte, war ihm jahrelang bewusst gewesen. Er konnte sich auch durchaus vorstellen, dass sie gewalttätig werden und jemanden verletzen konnte, wenn man sie bedrohte. Dass sie ihren Betreuer umgebracht hatte - den sie zweifellos als einen Menschen betrachtet hatte, der sich in ihre ganz persönlichen Angelegenheiten mischte -, war auf einer gewissen rationalen Ebene durchaus verständlich. Sie fasste jeden Versuch, in ihr Leben einzugreifen, als Provokation auf, möglicherweise sogar als feindlichen Angriff.
Doch konnte er beim besten Willen nicht begreifen, was sie dazu veranlasst haben mochte, nach Enskede zu fahren und zwei Personen zu erschießen, die sie, wenn man den Aussagen glauben durfte, überhaupt nicht gekannt hatte.
Dragan Armanskij erwartete die ganze Zeit, dass eine Verbindung zwischen Salander und dem Paar in Enskede gefunden würde - dass einer von den beiden schon mit ihr zu tun gehabt oder sich ihr gegenüber so verhalten hatte, dass sie völlig durchdrehte. Aber nirgendwo in den Zeitungen war von so einer Verbindung die Rede. Vielmehr spekulierte man, die psychisch kranke Lisbeth Salander müsse eine Art Zusammenbruch erlitten haben.
Zweimal rief er Kriminalinspektor Bublanski an und erkundigte sich nach der Entwicklung der Ermittlungen, aber auch der Fahndungsleiter konnte ihm keine Verbindung zwischen Salander und Enskede präsentieren - außer Mikael Blomkvist selbst. Doch dort traten die Ermittlungen auf der Stelle. Mikael Blomkvist kannte sowohl Salander als auch das ermordete Paar, aber es gab keinen Beweis, dass Lisbeth Salander ihrerseits Dag Svensson und Mia Bergman gekannt oder auch nur von ihnen gehört hatte. Folglich tat sich die Polizei auch schwer, den Handlungsverlauf zu rekonstruieren. Wäre da nicht die Mordwaffe mit ihren Fingerabdrücken gewesen und die unbestreitbare Verbindung zu ihrem ersten
Opfer, Anwalt Bjurman, hätte die Polizei völlig im Dunkeln getappt.
Nach einem Besuch in Mikaels Badezimmer kam Malin Eriksson zurück zum Sofa.
»Also, fassen wir das Ganze noch mal zusammen«, begann sie. »Wir müssen feststellen, ob Lisbeth Salander Dag und Mia ermordet hat, wie die Polizei behauptet. Ich habe keine Ahnung, wo wir anfangen sollen.«
»Betrachte es einfach als Recherchearbeit. Wir sollen hier ja keine polizeilichen Ermittlungen anstellen. Aber wir müssen ihre Ermittlungen im Auge behalten und herausfinden, was sie wissen. Genauso wie bei jedem anderen Job, nur mit dem Unterschied, dass wir nicht unbedingt alles veröffentlichen, was wir finden.«
»Aber wenn Lisbeth Salander die Mörderin ist, muss es eine Verbindung zwischen ihr und Dag und Mia geben. Und die einzige Verbindung bist nun mal du.«
»Diese Verbindung besteht doch gar nicht. Ich habe Lisbeth seit über einem Jahr nicht gesehen. Ich weiß nicht mal, wie sie von der Existenz der beiden erfahren haben sollte.«
Plötzlich verstummte Mikael. Im Unterschied zu allen anderen wusste er, dass Lisbeth Salander eine Weltklassehackerin war. Schlagartig kam ihm zu Bewusstsein, dass sein ganzes iBook voll war mit der Korrespondenz mit Dag Svensson und mit mehreren Versionen von seinem Buch. Außerdem fand sich dort eine
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